Ausgabe 06/16 -

„Helfen ist die Freude, geben zu dürfen!“

Toni Pizzecco ist Gemeindearzt, Familienvater und Präsident des Vereins
„Südtiroler Ärzte für die Welt“. Warum er gerne Menschen hilft, die ein schweres Los haben, und wir Südtiroler weniger jammern sollten, lesen Sie hier.

Herr Pizzecco, Sie sind seit 30 Jahren Gemeinde­arzt in Latsch, seit 2001 engagieren Sie sich als „Südtiroler Arzt für die Welt“ in vielen Entwicklungsländern. Wie schaffen Sie dieses Arbeitspensum und den Spagat zwischen diesen „zwei Welten“?
Toni Pizzecco: Das geht schon – alles ist eine Frage der Einteilung und Organisation. Ich habe gute Leute, auf die ich mich verlassen kann und die mir helfen. Die Gegensätze zwischen Südtirol und Äthiopien sind schon groß, doch ich ver­suche, nicht zu viele Vergleiche anzustellen und überall etwas zu geben und auch etwas mitzunehmen und zu lernen.

Karlheinz Böhm hat „Wut über die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich“ als Grund­motivation für sein Engagement genannt. Was treibt Sie an, zu helfen?
Toni Pizzecco: Mit „Wut“ Entwicklungshilfe zu betreiben und Solidarität zu vermitteln, entspricht nicht meiner Philosophie. Meine Grundmotivation ist die Freude. Durch das Helfen sollen wir uns nicht als „Helden oder Samariter“ fühlen – Helfen ist die Freude, geben zu dürfen! Wir Europäer sind privilegiert – daran müssen wir uns immer erinnern – und daraus entsteht die Verpflichtung, anderen Menschen zu helfen, die nicht dasselbe Glück haben wie wir.

Wo liegen die Schwerpunkte des Vereins „Südtiroler Ärzte für die Welt“?
Toni Pizzecco: Schwerpunkte sind medizinische und soziale Projekte, der Bau von Spitälern und Schulen sowie Wasserprojekte in Entwicklungsländern. Das Schwerpunktland ist Äthiopien, besonders am Herzen liegt mir die Unterstützung des Krankenhauses in Attat in Äthiopien. Der Verein hat hier bereits große Bauarbeiten geleistet (neue Erste-Hilfe-Abteilung, Wartesaal, Chirurgie, Geburtenabteilung) und begleitet das Missionsspital mit verschiedenen Fachärzte-Camps und der Ausbildung von medizinischem Personal. Ich selbst bin zweimal im Jahr in Attat und helfe im Spital mit.


Wie hart erleben Sie in Entwicklungsgebieten die (medizinische) Realität? Hat Sie das persönlich als Mensch verändert?
Toni Pizzecco: Natürlich hat es mich geprägt, und es war besonders in den Anfangsjahren sehr schwer zu akzeptieren, dass manchen Patienten einfach nicht geholfen werden kann, weil die Strukturen, Medikamente oder finanzielle Mittel fehlen. Ich habe aber auch vieles gelernt, z. B. wie einfache Menschen Leid, Schmerz und Tod annehmen und wie sie das Sterben als etwas Natürliches hinnehmen, besonders bei alten Menschen.

Mit der Flüchtlingsproblematik steht Europa vor großen Herausforderungen. Wie erleben Sie diese in den Ländern, wo sie tätig sind?
Toni Pizzecco: Ziel unseres Vereins war es immer schon, Menschen vor Ort im eigenen Land zu ­helfen, damit es ihnen in der eigenen Heimat besser geht und damit sie nicht erst zu Flüchtlingen werden. Besonders wenn es um Länder geht, in denen kein politischer Grund zur Flucht besteht. In Ländern mit Diktatoren, Krieg, Verfolgung usw. ist es als kleine Hilfsorganisation sehr schwer, direkt zu helfen. Auch in Äthiopien gibt es Schlepperbanden, die Menschen zur Flucht animieren. Die Kirche leistet hier wichtige Aufklärungsarbeit.

Die Erlöse der Sommer­tour „Westbound Generations for Africa“ kommen dem Kranken­haus Attat in Äthiopien zugute.
Im Bild v. l. n. r.: Walter Nogler, Alexandra, Victoria und Toni Pizzecco

Westbound Generations for Africa

Sie setzen sich für die „Hilfe zur Selbsthilfe“ ein, was im Wesentlichen das Grundprinzip der Genossenschaften darstellt. Kann man damit eine bessere Zukunft schaffen?
Toni Pizzecco: Genossenschaften in Entwicklungsländern tragen dazu bei, den Menschen, die sich zusammenschließen, eine stabile Lebensgrundlage zu sichern und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in Gang zu bringen. Wenn Menschen eine Arbeit haben und genügend Geld verdienen, um ihre Familie zu erhalten, so werden sie ihre geliebte Heimat mit geringerer Wahrscheinlichkeit verlassen.

Gibt es in den Ländern, wo Sie wirken, genossenschaftliche Initiativen?
Toni Pizzecco: Ja, in Äthiopien gibt es z. B. ge­nossenschaftliche Initiativen in der Landwirtschaft oder auch bei Frauengruppen. Unser Verein hat zusammen mit der Bäckerei Hackhofer zugunsten einer Frauengenossenschaft in Soddo Äthiopien den Bau einer Bäckerei mit Getreidespeicher, Getreidemühle und Cafeteria unterstützt. Dadurch haben jetzt ca. 50 Frauen eine Arbeit und damit 50 Familien ein Ein­kommen und ein besseres Leben.


Sie lieben Musik. Ihre Band Westbound hat eine erfolgreiche Sommertournee zugunsten der afrikanischen Hilfsprojekte hinter sich …
Toni Pizzecco: Musik ist seit vielen Jahren meine große Leidenschaft! Dass ich diese nun mit ­meiner Familie teilen kann – meine Töchter singen, meine Frau spielt den Bass – und dass wir durch die Konzerte die Projekte des Vereins Südtiroler Ärzte für die Welt unterstützen ­können, ist für mich das Maximum!

Bei Ihren Bühnenauftritten streuen Sie immer wieder philosophische Gedanken ein, wie z. B. „Menschsein isch net olbn leicht“ … Was haben Sie für ein Menschenbild?
Toni Pizzecco: Ganz gleich, wie reich oder arm jemand ist, am Ende muss jeder mit sich selbst und den kleinen und großen Sorgen des Lebens fertig werden – jeder trägt sein „Rucksackl“. Vor der Unendlichkeit des Lebens und des Sterbens sind wir am Ende alle nur „arme Hascher“. Deshalb ist es wichtig, eine gute Portion Demut auf der einen Seite, aber viel Lebensfreude und Begeisterung auf der anderen Seite zu haben und diese auch weiterzugeben. Denn dies stärkt uns selbst und alle, denen wir begegnen.

 

Und wenn Sie einmal nicht mehr weiter wissen?
Toni Pizzecco: Ich bin gläubig, dies hilft mir bei der Arbeit und im Leben. Ich bemühe mich, das, was ich mache, gut zu machen. Was ich aber nicht schaffe, das lege ich mit Vertrauen in Gottes Hand.

 

Was Sie schon immer einmal in einem Interview loswerden wollten …
Toni Pizzecco: Bürokraten sollen uns Ärzten das Leben nicht unnütz schwer machen, damit wir unsere Energie den Patienten widmen können. Menschlichkeit ist das, was die Medizin wirklich braucht, nicht Digitalisierung!

Südtiroler Ärzte für die Welt

Der Verein „Südtiroler Ärzte für die Welt“ wurde 2001 von Toni Pizzecco, Tanja Nienstedt, Franco de Giorgi, Erich Näckler und Gabriele Janssen gegründet. Er setzt sich aus Ärzten, Pflegepersonal und freiwilligen Helfern zusammen. Ziel ist es, Menschen in Notstands- und Armutsgebieten medizinisch zu versorgen und deren Situation zu verbessern, z. B. durch die Errichtung und Sanierung von Krankenhäusern, Schulen oder Kindergärten. Außerdem hilft der Verein, medizinische Geräte, Medikamente, Ausbildungsprogramme für medizinisches Personal, Wasserprojekte u. a. m. zu finanzieren. Die Projekte werden durch private Geld- und Sachspenden, durch Erlöse aus Aktionen und Veranstaltungen wie z. B. Konzerte der Band Westbound sowie durch Beiträge der Autonomen Provinz Bozen und der Region Trentino-Südtirol finanziert.

 

Bitte helfen auch Sie!
Spendenkonto Raiffeisenkasse Bozen:
IBAN: IT25 U 08081 11610 000306005349
BIC: RZSBIT21B03

 


Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Die Südtiroler und Südtirolerinnen sollten …
Toni Pizzecco: … weniger jammern, denn wir leben in einem gesegneten Land!