Ausgabe 06/22 -

Ruhe bewahren, auch wenn die Zeiten turbulent sind

Der Mix aus Energiekrise, Krieg, Unsicherheit und Inflation ist derzeit ein schwer verdaulicher Cocktail. Was bringt das neue Jahr? Worauf müssen sich Anleger einstellen? Univ.-Prof. DDr. Jürgen Huber, Leiter des Instituts für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck, gibt uns seine Einschätzungen im Interview wieder.

Herr Professor Huber, wo geht die Konjunktur­reise in den nächsten Monaten hin?

Univ.-Prof. DDr. Jürgen Huber: Die Konjunktur ist eindeutig eingetrübt und zeigt nach unten. Der Hauptgrund dafür sind die enorm gestiegenen Energiekosten, denn Energie braucht faktisch jeder Wirtschaftszweig und jeder Private. Wenn nun Energie statt 3 Prozent unserer Wirtschaftsleistung 10 Prozent kostet, so fehlen uns die 7 Prozent an Kaufkraft für anderes – und das wird jeder Wirtschaftszweig in absehbarer Zeit spüren.


 

Wird die Inflation weiter so hoch bleiben? Was sind die Folgen?

Die gemessene Inflation, derzeit bei rund 10 Prozent, wird noch bis Februar 2023 etwa gleich hoch bleiben, dann aber deutlich sinken. Dazu muss man wissen, dass die Inflation immer im Jahresabstand gemessen wird. Die derzeitigen Energiekosten werden mit jenen vor 12 Monaten verglichen – und in diesen 12 Monaten sind sie um rund 50 Prozent gestiegen, was die Inflation nach oben treibt. Im März 2023 werden die Energiekosten dann mit März 2022 verglichen. Allein dadurch wird die Inflation deutlich sinken. Allerdings werden die Energiekosten aber wohl auf Dauer höher bleiben als in früheren Jahren und Jahrzehnten. Dies führt sicher zu weniger Wohlstand.

 

Die Politik versucht, mit Entlastungs­paketen der Krise entgegenzuwirken. Sind solche Finanzspritzen ein Tropfen auf dem heißen Stein? Wo müsste die Politik/EU ansetzen?

Die Entlastungs- und Hilfspakete können Betroffenen durchaus helfen, aber was mir daran nicht gefällt ist, dass dadurch wieder neues Geld in eine Wirtschaft gepumpt wird, die ohnehin schon zu viel Geld hat – gerade das hat ja die Inflation ausgelöst. Man kann das Feuer der Inflation nicht mit mehr Feuer (neues Geld) bekämpfen. Auch ein Gaspreis­deckel, wie er in Deutschland umgesetzt wird, ist hier kontraproduktiv: der Staat gibt bis zu 200 Mrd. Euro aus, die dazu dienen, dass deutsche Bürger nur 20 Prozent ihrer Gasrechnung zahlen müssen, die restlichen 80 Prozent zahlt der Staat. Dadurch verschwindet der Anreiz, wirklich Gas zu sparen. Für jedes einzelne Land sowie für die EU insgesamt gilt, dass alles getan werden muss, um schnell erneuerbare Energiequellen auszubauen – hier wären die 200 Mrd. Euro wirklich gut und nachhaltig eingesetzt.


 

„Jedes EU-Land und die EU insgesamt müssen alles dransetzen, schnell erneuerbare Energiequellen auszubauen.“


 

Woher kommt das ganze Geld, zuerst für die Corona-Hilfen, die Waffenlieferungen in die Ukraine, Hilfspakete, EU-Reformpläne … nur über Staatsverschuldungen?

Leider ja, seit vielen Jahren werden alle Krisen mit viel Staatsgeld „gelöst“, und dies letztlich durch neue Staatsverschuldung. Vieles davon ist wiederum direkt finanziert von der EZB, die Staatsanleihen (also die Kredite, die Staaten nehmen, um ihre Defizite zu stopfen) aufkauft. All dies ist sehr gefährlich und ein Mitauslöser der hohen Inflation.

 

Hat die EZB mit den Zinserhöhungen zu spät reagiert?

Ja, die EZB hat deutlich zu spät reagiert. Die Zinsen hätten schon vor 3 bis 4 Jahren erhöht werden sollen, denn auch damals herrschte schon Hochkonjunktur. In der jetzigen Situation hingegen besteht zudem die Gefahr, dass die EZB mit Zinserhöhungen übertreibt, denn die Wirtschaft ist vermutlich schon in der Rezession, und da sind hohe Zinsen sehr schädlich.

 

Welche Auswirkungen haben weitere Zinserhöhungen auf die Verbraucher und Finanzmärkte?

Höhere Zinsen bedeuten für Sparer etwas mehr Zinsen am Sparbuch; für variabel verzinste Kreditnehmer sowie für jene, die jetzt Kredite abschließen, aber höhere Kreditraten. An den Finanzmärkten werden höhere Zinsen nicht gerne gesehen, denn diese erhöhen die Rate, mit der zukünftige Gewinne abgezinst werden. Als Folge sanken dieses Jahr auch Anleihen, Gold und Aktien um jeweils rund 20 Prozent.

 

Stichwort Klimawandel und Finanz­-stabilität – wohin steuert das geld­politische Engagement der EZB?

Ich halte Klimaschutz tatsächlich für unsere wichtigste langfristige Herausforderung. Allerdings bin ich nicht überzeugt, dass die EZB sich auch darum kümmern soll. Je mehr Ziele man gleichzeitig verfolgt, umso eher scheitert man. Der Fokus und Auftrag der EZB liegen ganz klar darin, die Stabilität des Euros nach innen (Inflation) und außen (Wechselkurs) zu sichern. Diese zwei Ziele sind klar und erreichbar. Wenn nun auch noch Konjunkturpolitik, Arbeitslosigkeit und Umweltschutz dazukommen, dann wird es unmöglich sich zu fokussieren, zumal sich die Ziele oft widersprechen.


 

„Ich bin für die Finanzmärkte sehr optimistisch, der derzeitige Pessi­mismus erscheint mir übertrieben. In den hohen Wert­verlusten quer durch alle Märkte ist der Konjunktur­abschwung schon eingepreist.“


 

Finanzmärkte sind, so sagt man, die Seismographen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung und nehmen diese bereits vorweg. Wie ist Ihre Einschätzung?

Tatsächlich bin ich für die Finanzmärkte sehr optimistisch und auch selbst voll investiert, denn derzeit herrscht ein Pessimismus, der vermutlich übertrieben ist. Wir sahen einen 20-prozentigen Wertverlust praktisch quer durch alle Märkte, so dass ein Konjunkturabschwung schon eingepreist ist.

 

Welche Unternehmenssektoren profitieren von der Krise?

Lassen wir die Rüstungsunternehmen mal außen vor… Eine große Kategorie, die profitiert, ist der Energiesektor – und hier alles, von fossilen (Ölkonzerne) bis alter-nativen Energieanbietern und deren Zulieferern (Hersteller von Photovoltaikanlagen, Windrädern, etc.), denn Energie wird in den kommenden Jahren einen größeren Teil der Wirtschaft ausmachen und damit ist hier auch mehr zu verdienen.

 

Auf was müssen sich Anleger und Anlegerinnen einstellen? Haben Sie einen Tipp zum Schluss?

Die Zeiten sind derzeit sehr turbulent – was aber verspricht, dass es bald auch wieder ruhiger wird. Mein Tipp ist ganz klar: Ruhe bewahren und so zu investieren wie immer, also breit gestreut (diversifiziert) und langfristig. Dann ist auch weiterhin mit realen, also inflationsbereinigten, Renditen von rund 4 bis 5 Prozent pro Jahr zu rechnen.

Zur Person

Univ.-Prof. DDr. Jürgen Huber ist seit 2010 Leiter des Instituts für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen experimentelle und empirische Finanzmarkt­forschung sowie Informations­ökonomie. Er erhielt mehrere wissen­schaftliche Auszeichnungen, darunter 2005 den Dr.-Alois-Mock-Wissenschaftspreis und 2007 den Preis des Fürstentums Liechtenstein für wissenschaftliches Arbeiten.