Ausgabe 02/21 -

Kunst trotz(t) Corona

Kunstausstellungen in der Warteschleife, Aufträge brechen weg, finanzielle Unterstützungshilfen sind knapp: die Corona-Epidemie hat die Kunst- und Kulturszene ganz besonders getroffen. Wie reagieren Kunstschaffende auf die neuen, schwierigen Bedingungen? Welche Herausforderungen gilt es zu meistern? Lisa Trockner, Geschäftsführerin des Südtiroler Künstlerbundes, hat dazu Stellung genommen.

Frau Trockner, das Coronavirus hat uns seit über einem Jahr fest im Griff.

Wie empfinden Sie die aktuelle Lage mit Blick auf Kunst und Kultur?
Lisa Trockner: Mit der Pandemie verhärtet sich der Verdacht, dass der Kunst gesellschaftlich und politisch der Stempel einer zu vernachlässigenden Freizeitbeschäftigung aufgedrückt wird. Die sozialkritischen rebellierenden Künstler sind leiser geworden, die Situation für viele prekär. Entscheidend ist jetzt die Haltung der Kunstschaffenden selbst: Proaktive Eigenverantwortung ist gefragt, damit die Kunst politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich als relevanter Teil des Ganzen verankert wird.


Worunter leiden Südtiroler Künstlerinnen und Künstler?
Das Dilemma der Kunstwelt ist, dass ihre Bedeutung für eine Gesellschaft schwer nachweisbar ist. Diese ihre untergrabene Relevanz ist mit der Pandemie untermauert worden. Die mangelnde Anerkennung als Beruf und eine fehlende Lobby drängen die Kunstschaffenden in den Hintergrund. Während Interessenszusammenschlüsse aller Bereiche lautstark ihre Rechte einfordern, hört oder liest man von den Künstlern bzw. Künstlerinnen selbst und von den Museen und Kultureinrichtungen wenig.

Welche finanzielle Unterstützungsleistungen oder Soforthilfe-Maßnahmen erhalten Kunstschaffende von der öffentlichen Hand?
Nachdem es den Beruf des Künstlers bzw. der Künstlerin in Italien schlichtweg nicht gibt und auch kein Berufsverband nach dem Modell Deutschland existiert, gestaltet sich die Förderzuweisung komplex. Die Kulturabteilungen des Landes haben 3.600 Euro pro Künstler aus allen Fachgebieten ausbezahlt. Die Gemeinde Brixen hat vorbildhaft 100.000 Euro für Kunstankäufe freigegeben.


Viele Kulturschaffende verdienen auch in normalen Zeiten wenig. Stimmt diese Aussage?
Es ist tatsächlich so, dass nur ein geringer Prozentsatz der hohen Dichte an Kunstschaffenden im Land von ihrer Kunst leben können. Viele üben in Teilzeit einen Zweit- oder Brotberuf aus. Trotzdem sind sie auf Einnahmen durch die Kunst angewiesen.

Es drängt sich die Frage auf, wie Sie im Künstlerbund mit der derzeitigen Situation umgehen. Wo engagieren Sie sich besonders?
Im Künstlerbund haben wir schnell und flexibel reagiert und interne Maßnahmen zur Direktförderung von Kunstschaffenden erarbeitet, um einen Teil der Ausfälle zu kompensieren. Dazu zählen virtuelle Galerien, Online-Kunst-shops, Produktionsaufträge, Koordinationen für Kunstankäufe, Wettbewerbe und Kooperationen mit Unternehmen u.a.m. Dabei ist es uns ein Anliegen, die Kunst zu den Menschen zu bringen, wie mit den Kunsteinkaufstaschen, den „Kunstwerfern“ in Brixen. Unseren Auftrag sehen wir in der Entwicklung von Umsetzungskonzepten mit zukunftsweisenden Inhalten, durch welche die Kunst aus ihrer „Bittstellerfunktion“ befreit wird.

Wo besteht Handlungsbedarf? Stichwort: finanzielle Absicherung der Künstler, kollektive Interessensvertretung …
Förderungen und Unterstützungen aus öffentlicher und privater Hand waren immer schon sehr bedeutend und werden es, neben einer Grundsicherung, in Zukunft noch mehr sein. Einige Schritte sind gesetzt: Ab 2021 hat der Regionalrat eine Zusatzrente für Kunstschaffende eingeführt. Der Künstlerbund hat der Landesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Ein Berufsverzeichnis sowie die Erfassung der Bruttowertschöpfung der Kreativwirtschaft sind auf dem Weg. Kunst am Bau wieder verpflichtend einzuführen liegt im Landtag vor, gewerkschaftliche Anknüpfungen sind in Verhandlung.

Spüren Sie auch Solidarität in der Gesellschaft? Und wie können sich Künstler gegenseitig unterstützen?
Steakholder und Kunstliebhaber-Innen unterstützen weiterhin die Szene, teilweise verstärkt. Die Kunstschaffenden selbst sind Individualisten, sehr oft naturgegeben Einzelkämpfer, deshalb sind längerfristige Zusammenarbeiten eher selten. Anderseits bestätigt der große Zuwuchs an Nachwuchskunstschaffenden im Künstlerbund dennoch das Bedürfnis nach Gemeinschaft.

Die Corona-Krise hat aber auch viel kreatives Potential freigelegt, z.B. in der Art und Weise, wie Kunst dem Publikum zugänglich gemacht wird. Wird Corona die Kunstvermittlung nachhaltig verändern?
Kunst muss abseits ihrer Bühnen proaktiv interagieren, um gesehen und integriert zu werden. Begegnung soll auf Augenhöhe stattfinden, beispielsweise durch synergetische Zusammenarbeit mit Wirtschafts- und Bildungseinrichtungen. Projekte wie „Kunstorte“ der Raiffeisenkasse Bruneck brechen das Klischee der elitären Kunst auf und bauen Berührungsängste ab. Die beste Art der Vermittlung ist die Interaktion. Mit virtuellen Ausstellungstouren wird die Zielgruppe erweitert.

Sie sitzen im Kunstbeirat der Raiffeisen Kunstsammlung, mit der lokale Künstler mit einem Förderpreis unterstützt werden. Wie wichtig sind solche Initiativen für die Kunstszene?
Die Kunstsammlung der Raiffeisen Landesbank Südtirol ist mir ein Herzensanliegen, bei der ich gemeinsam mit dem früheren Präsidenten Michl Grüner (†), Generaldirektor Zenone Giacomuzzi und Christa Ratschiller von der Geburtsstunde an dabei war. Kunstankäufe sind eine der wertschöpfendsten Fördermaßnahmen überhaupt. Der jährliche Förderpreis unterstützt zusätzlich Nachwuchstalente. Inzwischen ist das anfängliche Experiment zu einer der bedeutendsten zeitgenössischen Kunstsammlungen im Land avanciert.

DER SÜDTIROLER KÜNSTLERBUND (SKB)

Der Südtiroler Künstlerbund ist eine Vereinigung der Künstler deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol. Er wurde 1946 in Bozen gegründet und zählt derzeit an die 440 aktive Mitglieder aus drei Generationen. Der Künstlerbund sieht sich als offenes Portal zwischen Kunstschaffenden und Kunstkonsumenten. Ziel ist es, mit den Programmen aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Design, Literatur und Musik gegenwärtige Positionen der Kunst zu stärken, zu vernetzten und sichtbar zu machen. Der Hauptfokus liegt in der Förderung und Wegbereitung des Nachwuchses, im interdisziplinären Arbeiten und in der lokalen und internationalen Vernetzung.