Ausgabe 04/21 -

„Keine Rückkehr zum Alten“

Harry Gatterer ist Trend- und Zukunftsforscher am renommierten Zukunftsinstitut in Wien. Im Interview erklärt er, warum wir nicht weitermachen können wie bisher und es eine neue Qualität an unternehmerischem Denken braucht, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

Foto: Wolf Steiner

Herr Gatterer, die Corona-Krise scheint langsam im Griff zu sein. Was hat uns Corona deutlich gemacht?

Harry Gatterer: Covid-19 ist für alle eine Überraschung gewesen. Es ist etwas eingetreten, was vorher undenkbar war. Das Virus und seine Folgen haben unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Miteinander regelrecht erschüttert. Sicherheiten, Gewissheiten und Pläne waren von einem Tag auf den anderen einfach weg und das in einer globalen Gleichzeitigkeit. Die Krise hat uns bewusst gemacht, wie komplex unsere Welt und wie anfällig unser Wirtschaftssystem aufgrund der wirtschaftlichen Wirkungsbeziehungen sind. Es wurde sichtbar, welche Stärken und Schwächen wir haben. Die Krise hat uns auch gelehrt, dass wir Menschen zur Anpassung und Resilienz fähig sind. Eine Rückkehr zur früheren „Normalität“ ist aber nicht mehr möglich.


Was meinen Sie damit?

Eine Erholung der Wirtschaft wird kein automatisches „Comeback“ sein. Vielmehr hat Corona einen langwierigen Prozess der Erneuerung und des Lernens initiiert, der nicht mehr reversibel ist und als Trendbeschleuniger wirkt. Wir müssen uns nun verstärkt mit unserer Zukunft auseinandersetzen und uns fragen, wie wir leben möchten, was uns wichtig und wertvoll ist. Dabei geht es nicht darum, zukünftig alles auf den Kopf zu stellen, aber wir werden manches hinterfragen und verbessern, neu- und umdenken müssen. Improvisation, Rollenfindung und das Loslassen alter Routinen wird an der Tagesordnung sein.

Was ist jetzt wichtig?

Zunächst sollten wir uns die Zeit nehmen, genau hinzuschauen, was passiert ist, um daraus lernen zu können. Die finanziellen und psychischen Spuren, welche die Krise hinterlassen hat, müssen wir erst mal verarbeiten. Denn egal, ob es sich um ein Unternehmen, Organisationen oder Familien handelt – dahinter stehen immer Menschen; es geht um Beziehungen, um Resonanz mit anderen und Emotionalität. Nach der akuten Krisenbewältigung gilt es auf Komplexität und Adaption umzuschalten. Der Wandel wird eine lange Phase des Lernens in Organisationen einläuten. Die Dekonstruktion der Gegenwart – so schmerzlich diese auch ist – erzeugt eine neue Zukunft.

Wie schaffen das Unternehmen in der Post-Corona-Ökonomie?

Die Krise wird viele Unternehmen an einen Punkt führen, an dem sie sich neu erfinden müssen. Gerade im Tourismus, der ja auch in Südtirol eine große Bedeutung hat, und in den Freizeit- und Eventbetrieben, wird dies nicht ausbleiben. Auch der Handel und viele Service- und Dienstleistungsunternehmen werden nach Corona nicht einfach weitermachen können wie bisher. Auf Effizienz folgt Resilienz. Unternehmen müssen sich adaptiv auf wandelnde Umweltbedingungen einstellen. Sie sollten sich deshalb wieder mehr auf ihre Anfangszeiten besinnen, wo Strukturen und Abläufe noch nicht festgefahren waren und Neues ausprobiert wurde. Am Ende ist es genau das, was Unternehmer beflügelt und motiviert, nämlich eine Idee und Vision zu haben, neue Wege zu gehen, nach Lösungen zu suchen und in diese zu investieren. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft wird vor allem in der Fähigkeit liegen, in Partnerschaften und Netzwerken zu denken und zu arbeiten.

In Ihrem „White Paper“ zur Post-Corona-Ökonomie ist vom Geno-Prinzip die Rede …

Im genossenschaftlichen Geschäftsmodell wird die Zusammenarbeit vieler zu einem bestimmten Zweck par excellence gelebt. Sie ist die Basis des Erfolges und wichtiger als ein ausgereiztes Effizienzmanagement. Im Zeichen einer aufkommenden Wir-Kultur wird das Modell der Genossenschaften weiter an Bedeutung gewinnen. Es werden immer mehr und neue genossenschaftliche Verbünde entstehen, wie beispielsweise Autorengemeinschaften, Technologiekollektive oder regionale Handelsstrukturen. Sie leisten mit ihrem kooperativen Lösungsansatz einen wichtigen Beitrag zu einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Entwicklung der Gemeinden. Die „Purpose-Identifikation“, sprich die Ausrichtung eines Unternehmens am Wohl vieler, gibt Orientierung, motiviert und hält zusammen.

Können wir aus der Krise auch Positives ziehen?

Sehr vieles sogar. Beispielsweise hat die Ökologisierung der Wirtschaft, die sich in den letzten 30 bis 40 Jahren eher schleppend entwickelt hat, ordentlich an Schubkraft gewonnen – da wurde ein Schalter umgelegt. Heute werden kaum mehr Investitionen getätigt, die nicht auch Nachhaltigkeitskriterien Stand halten. Das gesellschaftliche Saatgut für ein neues, anderes Wachstumsverständnis war bereits entwickelt, durch Corona ist die Saat aufgegangen. Die Wirtschaft wird sich in vielen regionalen Netzwerken stärken und ihre Verbindung zum Globalen reflektiert betreiben, sprich glokal agieren. Die Krise hat auch aufgezeigt, was die Digitalisierung alles möglich macht und verändern kann. Die Anwendung von neuen Technologien wurde durch die Notsituation von heute auf morgen extrem beschleunigt.


Wie hat sich Ihr persönliches Leben durch die Corona-Krise verändert?

In der Zeit des Lockdowns habe ich sehr viel mit Video-Calls und Online-Konferenzen gearbeitet. Das hat mir viele Reisekilometer erspart und meine Lebensqualität gesteigert. Deshalb werde ich diese Arbeitsweise auch für die Zukunft beibehalten. Ich habe in der Krise mit ganz neuen und kreativen Leuten zusammengearbeitet, auch dies hat mein Leben bereichert und mir neue Möglichkeiten eröffnet.

ZUR PERSON

Trend- und Zukunftsforscher Harry Gatterer ist Geschäftsführer des 1998 gegründeten Zukunftsinstitutes – einem der einflussreichsten Forschungsinstitute Europas.

Sein Spezialgebiet ist die Integration von Trends in unternehmerische Entscheidungsprozesse. Er berät Unternehmen dabei, relevante Trends zu erkennen und zu nutzen. Gatterer stammt aus Niederndorf bei Kufstein in Nordtirol und ist als Urlaubsgast öfters in Südtirol unterwegs.