Ausgabe 05/19 -

Jeder hat das Recht, einmal hinzufallen

Seit vier Jahren gibt es die Sozialgenossenschaft Jule in Eppan. Wir haben ihre Präsidentin Angelika Kurz und Verwaltungsratsmitglied Benno Karbacher besucht.

Frau Kurz, was macht die Sozialgenossenschaft Jule?
Angelika Kurz: Die Sozialgenossenschaft Jule unterstützt Menschen mit psychischer Beeinträchtigung und deren Angehörige. Dazu erarbeiten wir individuell angepasste und bereichsübergreifende Lösungen. Zudem bieten wir Weiterbildungen, tiergestützte pädagogische Begleitung, Beratungen, Coaching und Mediation zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten an.


Was sind denn die häufigsten Krankheits­bilder der Menschen, die von der Genossenschaft betreut werden?
Benno Karbacher: In erster Linie haben wir es mit Menschen mit Abhängigkeiten in all ihren Ausprägungen wie Alkohol, Drogen, Ess-, Sexualstörungen u. a. m. zu tun. Das können Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sein, sozial auffällige Jugendliche ebenso wie ­Personen, die in einer psychiatrischen Klinik leben. Kurz, ­Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft Hilfe und Begleitung brauchen, weil sie im ­Moment nicht gut allein zurechtkommen.

Wo erfolgen denn die Beratungsgespräche?
Angelika Kurz: Unser Hauptbüro ist in der ­Bozner Schlachthofstraße, die Erst- und Beratungsgespräche finden in unseren Räumlich­keiten in Eppan statt. Die Lage abseits des Dorfzentrums mit Parkplätzen davor ist ideal, weil dadurch die Anonymität der Klienten geschützt ist. In der dörflich geprägten Gesellschaft Süd­tirols ist das ganz wichtig. Es gibt wirklich viele Leute, die nicht zugeben wollen, dass sie Hilfe brauchen, weil sie nach außen ein perfektes Bild wahren wollen. Bei uns aber gilt: Jeder hat das Recht, einmal hinzufallen.

… und wie geht es dann weiter?
Benno Karbacher: Selbstverständlich ­lassen wir Menschen nicht im luftleeren Raum. Nach dem Erstgespräch schauen wir, wie wir dem ­Betroffenen bestmöglich helfen können, und ­bieten ein passendes Betreuungsangebot an. Wie bereits erwähnt, bieten sich viele Möglichkeiten. Dabei schauen wir auf die persönlichen Ressourcen und nicht auf das Krankheitsbild. Jeder Mensch hat Ressourcen, auch wenn er psychisch krank ist. Im optimalen Fall finden Betroffene in ein selbstständiges Leben in ihren eigenen vier ­Wänden zurück.

Geht das immer so einfach?
Benno Karbacher: Nein. Das ist von Fall zu Fall verschieden. Es muss auch nicht immer alles sofort klappen, es braucht Geduld, Zeit und Einfühlungsvermögen. Oft sind es auch nicht die finanziellen Aspekte, die hinderlich sind. Beispielsweise tun sich die Südtiroler Mit­bürger oft schwer, ihre Wohnung an Menschen mit ­psychischer Beeinträchtigung zu vermieten. Da merkt man schon, dass psychisch Kranke in Südtirol immer noch einen schweren Stand haben, da gibt es noch viel zu tun.

Können Sie uns ein Beispiel einer Betreuungsleistung geben?
Angelika Kurz: Besonders gut kommt ein Hof im Vinschgau an. Am „Korngütlhof“ in Goldrain bietet Gabi Hofweber, ausgebildete Moto-, Erlebnis- und Sexualpädagogin, Erzieherin und Bio-Bäuerin, tiergestützte Arbeit mit ­Pferden an. Mittlerweile werden zehn Personen im Alter zwischen 28 und 60 Jahren aus ganz Südtirol ­betreut. Das Angebot wird auch von vielen ­Schulen genutzt.


Was ist bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Angelika Kurz: Die Liste ist lang (lacht), aber vorder­gründig erscheint mir eine gute Vorbereitung und eine klare, transparente Kommunikation unerlässlich. Für psychisch Kranke ist auch unsere Verlässlichkeit äußerst wichtig. Sie müssen wissen, dass da jemand im Hintergrund für sie da ist. Auch die Vernetzung und der Austausch mit anderen sozialen Stellen sind unent­behrlich. Das ist mir in meiner Funktion als Sachverwalterin, die ich seit zwei Jahren ausübe, noch stärker bewusst geworden. Für ­Betroffene und Angehörige ist es unangenehm, bei einzelnen Stellen immer wieder ihre Geschichte erzählen zu müssen, nur weil diese nicht vernetzt arbeiten.

Wie finanziert sich die Genossenschaft?
Benno Karbacher: Schauen Sie, die Genossenschaft Jule versteht sich nicht als Konkurrenz zur Bezirksgemeinschaft oder anderen Institutionen. Die Tätigkeit der Sozialgenossenschaft wird ausschließlich privat finanziert, öffentliche Gelder gibt es bisher keine. Die Mitglieder versuchen ihre Dienstleistungen über Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren. Wenn beispielsweise ein Coaching für Demenz in einem Krankenhaus durchgeführt wird, geht ein bestimmter Prozentsatz vom Entgelt an Jule. Wir sind nicht gewinnorientiert und wollen in erster Linie die Spesen decken. Vermögen zu kumulieren, wäre schlichtweg unethisch. Wir versuchen einfach, zusätzliche Möglichkeiten für Betroffene zu schaffen, möglichst auf einem unkomplizierten Weg.

Sozialgenossenschaft Jule

Gründungsmitglieder:

  • Angelika Kurz: Präsidentin, Dipl. Sozialpädagogin, Mediatorin, Erwachsenenbildnerin und Erzieherin
  • Joachim Kauffmann: Vizepräsident, Sozial-, Schul-, Gestalt- und Sexualpädagoge, Soziologe, Erziehungsberater und Lehrer
  • Benno Karbacher: Vorstandsmitglied, Jurist und ehemaliger ehrenamtlicher Richter bei Vormundschaften
  • Johann Karbacher: Betriebswirt und Pharmazeut
  • Gabi Hofweber Tscholl: Moto-, Reit- und Erlebnispädagogin, Erzieherin, Sexualpädagogin und Bio-Bäuerin

Angebote:

Die Sozialgenossenschaft bietet Mediation, Coaching, Fortbildungen in unterschiedlichen Bereichen. Dabei geht es immer darum, Menschen in schwierigen sozialen und psychischen Situationen vorübergehend oder dauerhaft zu begleiten.

 

Weitere Infos unter: www.juleonline.net
Beratungstermine unter 333 408882
oder E-Mail: jule@rolmail.net