Ausgabe 01/23 -

Im Gespräch mit Paul Gasser

Führungswechsel im Raiffeisenverband Südtirol. Er hat vieles für Raiffeisen gestaltet. Das gemeinsame Interesse und der gemeinsame Erfolg der Raiffeisenorganisation standen für ihn im Vordergrund: Nach 14 Jahren an der Spitze des Raiffeisenverbandes ist Generaldirektor Paul Gasser mit Jahresende in den Ruhestand getreten.

Paul Gasser begann seine Tätigkeit als Generaldirektor im Jänner 2009 mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise und beendet sie nun im Jahr der „Zeitenwende“ und in einer Zeit multipler Krisen auf der Welt. Mit Blick auf Raiffeisen kann Paul Gasser eine erfolgreiche Organisation weitergeben. Die Raiffeisenkassen stehen heute sehr gut da und auch die landwirtschaft­lichen Genossenschaften haben eine enorme Entwicklung genommen. Die Rolle der Energie­genossen­schaften und der Sozialgenossenschaften konnte ausgebaut und das „Heimatgefühl“ für die Mitgliedsgenossenschaften im Raiffeisenverband gestärkt werden.


Herr Gasser, Sie waren 30 Jahre feder-führend in der Raiffeisenorganisation tätig und beenden nun Ihre Arbeit als Generaldirektor. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Paul Gasser: Sehr dankbar und mit Genugtuung. Ich war gerne Generaldirektor und habe dies immer als schöne Aufgabe empfunden. Ich hatte die Möglichkeit, vieles für die Raiffeisenorganisation zu gestalten. Es war eine intensive und herausfordernde, aber durchaus auch erfolgreiche Zeit.

Sie kennen die Raiffeisenorganisation wie kein Zweiter. Was bedeutet diese für Sie?

Die Raiffeisenorganisation verkörpert einen sehr nachhaltigen Inhalt: Genossenschaft ist gelebte Wirtschaftsdemokratie, fördert lokale Kreisläufe und stiftet Nutzen für das einzelne Mitglied über das rein Ökonomische hinaus. Die Raiffeisen Genossenschaften sind wichtig für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und ohne sie wäre Südtirol wesentlich ärmer. Ich habe es deshalb als Ehre empfunden, für diese Genossenschaftsorganisation Verantwortung zu tragen.


Bei Ihrem Antritt 2009 sagten Sie, Ihre Aufgabe sei es, diese Organisation erfolgreich zu führen. Sehen Sie diese Aufgabe – auch mit Blick auf die Mitglieder – als erfüllt?

Ich denke schon. Der Raiffeisenverband ist vielfältig tätig, unsere Mitglieder kommen aus allen Sparten und haben unterschied­liche Bedürfnisse. Eines meiner Ziele war es, den Raiffeisenverband nicht nur für die Raiffeisenkassen, sondern auch für die anderen Sparten wie Landwirtschaft, Soziales und Energie als wichtigen Bezugspunkt zu etablieren, mehr Nähe herzustellen und das Heimatgefühl im Verband zu stärken. Dafür haben wir Koordinierungsausschüsse eingerichtet und die Dienste und Interessen­vertretung ausgebaut. Mit Blick auf die Raiffeisenkassen ist es gelungen, die lokale Eigenständigkeit zu erhalten, sodass sie sich in ihrer genossenschaftlichen Grundausrichtung unverändert am Markt bewegen können.

 

Sie haben sich den Ruf eines guten Netzwerkers erworben, haben Kontakte und Beziehungen hergestellt und gepflegt. Wie wichtig war diese Netzwerkarbeit?

Die Verbandsarbeit ist nur in einem guten Netzwerk erfolgreich und wenn sie nicht im Alleingang, sondern abgestimmt und koordiniert in der Organisation und mit Partnern handelt. Es zählt, sich auf Augenhöhe zu begegnen und das gemeinsame Interesse zu finden. Es geht nicht um kurzfristige Vorteile, sondern um einen gemeinsamen langfristigen Ansatz. Gegenüber den Aufsichtsbehörden und den römischen Zentraleinrichtungen und Verbänden war es mir wichtig, Verständnis für unsere Besonderheiten und Eigenheiten zu wecken. Auch lag mir viel daran, die Beziehungen zu Raiffeisen Österreich neu zu beleben, weil uns historisch viel verbindet; heute sind wir Mitglied beim Österreichischen Raiffeisenverband.

 

In Ihre Zeit als Generaldirektor fallen einige große „Brocken“. Welche waren die größten Herausforderungen und wie sind Sie an deren Lösung herangegangen?

Da gibt es viele, als Beispiel nenne ich die Sanierung der Assimoco, die Causa der Wettbewerbsbehörde mit dem Vorwurf der illegalen Kartellbildung bei Raiffeisen, das jahrelange Tauziehen mit der Reform der Genossenschaftsbanken und die Umsetzung des IPS sowie die Auslagerung des Rechenzentrums in eine Konsortialgesellschaft. Alle Themen konnten am Ende gut gelöst werden. Ich bin dabei stets dem Grundsatz gefolgt, mich in die Lage meines Gegen- übers zu versetzen und Lösungen so zu gestalten, dass sie zu einer Win-Win- Situation führen und für beide Seiten zufriedenstellend sind. Dazu braucht es Zielstrebigkeit, Durchsetzungskraft und etwas Weitblick. Auch glückliche Konstellationen waren manchmal hilfreich, allerdings bedurfte es dann auch der Entschlossenheit, Dinge beim Schopf zu packen und umzusetzen.


So wie beispielsweise bei der Reform der Genossenschaftsbanken, wo es gelungen ist, für die Raiffeisenkassen ein institutsbezogenes Sicherungs-system zu erreichen und ihre Autonomie zu erhalten?

Es galt, die Zeichen der Zeit zu erkennen und vorausblickend zu handeln. Gegen das damalige Reformgesetz der Regierung Renzi aus dem Jahr 2015 konnten wir zunächst nichts anhaben. Es ging darum, diesen langwierigen Prozess aktiv mitzugestalten, um Chancen für Nachbesserungen zu nutzen. Diese haben wir genutzt und konnten die Entwicklung mit der Einrichtung und Genehmigung eines institutsbezogenen Sicherungssystems in unserem Sinne gestalten.

 

Wie sehen Sie der Zeit des Ruhestandes entgegen?

Es war stets meine Absicht, das Ende meiner Berufstätigkeit selbst zu bestimmen und zu gestalten. Die Raiffeisenorganisation stand für mich im Vordergrund und sie steht heute gut da. So fällt es auch leichter, die große Verantwortung abzugeben. Loslassen ist zwar immer schwierig, bedeutet aber auch, neue Gestaltungsräume zu öffnen. Natürlich werden mir viele vertrauensvolle Beziehungen zu den Menschen in- und außerhalb des Verbandes und der Organisation fehlen.

Zu Ihren größten Steckenpferden zählen Musik, Kultur und Philosophie. Bleibt nun mehr Zeit für diese schönen Seiten des Lebens?

Davon gehe ich aus! Ich bin unter anderem Präsident der Stiftung Haydn von Trient und Bozen und Präsident der Brixner Initiative Musik und Kirche. In diesen Rollen möchte ich mich noch mehr einbringen. Diese Aufgaben machen mir Spaß und Freude und ich halte sie auch gesellschaftlich und kulturell für wichtig und sinnvoll.

 

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Robert Zampieri?

Robert Zampieri kommt aus unserer Genossenschaftswelt, er bringt viele gute Voraussetzungen mit. Für seine neue Aufgabe als Generaldirektor wünsche ich ihm viel Erfolg.

ZUR PERSON

Paul Gasser, geboren 1959 in Vintl, Studium Betriebswirtschaft in Verona. Von 1987 bis 1992 Mitarbeiter der Volksbank Brixen. 1992 bis 2001 Direktor des Raiffeisen Versicherungsdienstes. 2001 bis 2009 Leiter der Hauptabteilung Bankwirtschaft und Vizedirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol. 1.1.2009 bis 31.12.2022 Generaldirektor des Raiffeisenverbandes. Zudem: Präsident Raiffeisen Versicherungsdienst, Vizepräsident Assimoco S.p.A und der Assimoco Vita S.p.A., Präsident der regionalen ABI-Kommission, Verwaltungsrat Sprint Italia GmbH, Verwaltungsrat und Vorsitzender Vollzugsausschuss der Investi­tionsbank Trentino-Südtirol, Präsident Stiftung Haydn, Präsident Brixner Initiative Musik und Kirche.