Ausgabe 01/22 -

Die Arbeit der Zukunft erfordert neue Herangehensweisen

Die Situation auf dem Südtiroler Arbeitsmarkt hat sich weiter stabilisiert. Aber es mangelt nicht an Herausforderungen, denen man sich stellen muss, sagt AFI-Direktor Stefan Perini.

Herr Perini, wie schätzen Sie die derzeitige Beschäftigungslage im Land ein und wie sind die Prognosen für 2022?

Stefan Perini: Der Südtiroler Arbeitsmarkt hat die Coronakrise mit einem Beschäftigungsplus von 0,7 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020 relativ gut weggesteckt – nichtsdestotrotz ist das Vorkrisenniveau noch nicht erreicht. Die Schreckensszenarien wie Massenarbeitslosigkeit und Pleitewellen von Unternehmen haben sich nicht bewahrheitet, allerdings wird die Pandemie auch das heurige Jahr noch stark prägen. Laut unserer Herbstbefragung ist auch die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gut. 

Der Arbeitskräftemangel wirft Probleme auf. Wie kann man dem entgegenwirken? 

Mir ist derzeit kein Wirtschaftsbereich bekannt, wo Arbeitgeber derzeit nicht über den Arbeitskräftemangel jammern. Entgegenwirken kann man dem durch Abwerben der Arbeitskräfte von anderen Sektoren oder von Mitbewerbern bzw. durch eine gezielte Rekrutierung auf provinzfremden Arbeitsmärkten. Gleichzeitig gilt es, bislang nicht ausgeschöpfte Potenziale besser zu erschließen – Stichwort Wiedereinstieg von Frauen nach der Mutterschaft. Auch die Potenziale älterer Beschäftigter müssen als solche erkannt werden.


Viele Südtiroler Fachleute arbeiten im Ausland. Wie könnte man diese zurückholen?

Der Großteil der im Ausland studierenden Südtiroler bleibt nach dem Uni-Abschluss noch eine Zeit lang dort und sammelt berufliche Erfahrung. Ein Teil davon kehrt aber auch spontan zurück, sobald die Familiengründung ansteht. Andere wiederum schließen nicht aus, nach Südtirol zurückzukehren, sofern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen passen bzw. sich diese verbessern.

Handwerker

Das Land Südtirol hat die Initiative „Attraktivität. Arbeitsplatz. Südtirol“ initiiert, um Südtirol als reizvollen Arbeitsort zu positionieren.

Ziel der – wie ich finde – positiven Initiative ist es, qualifizierte Fachkräfte zu halten bzw. nach Südtirol zu holen. Zentrale Elemente für die Attraktivität sind die Entlohnung, Karrieremöglichkeiten, die Wohnsituation sowie das kulturelle Angebot und die Bildungsmöglichkeiten. Will Südtirol die Arbeitgebermarke „Great place to work“ aufbauen, muss diese entsprechend mit Inhalten gefüllt werden. Das bedeutet, dass man auch bieten muss, was man verspricht.

Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Arbeit ist brisant. Wie ist es damit bei uns bestellt?

Im europäischen Vergleich schneiden wir besser ab als gedacht. Zwar gibt es bei uns nur wenige Betriebsabkommen, in denen Instrumente für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Arbeit als Recht eingefordert werden können. Doch es gibt eine recht ausgeprägte Bereitschaft der Arbeitgeber, dem Personal „informell“ entgegenzukommen. Die Sensibilisierungsarbeit von Land und Sozialpartnern hat hier in den letzten zwei Jahrzehnten sehr viel bewirkt, wenn wir beispielsweise an die vielen öffentlichen oder betrieblichen Kinderhorte, an flexible Arbeitszeitregelungen oder jüngst auch an das Homeoffice denken.

Was sind die größten Veränderungen, die mit der Digitalisierung auf den Südtiroler Arbeitsmarkt zukommen?

Die Berufslandschaft wird sich durch Digitalisierung und Automatisierung wandeln. Die physische Präsenz wird in einigen Berufen nicht mehr zwingend notwendig sein. Klar, die Servierkraft oder der Straßenarbeiter wird auch in Zukunft vor Ort arbeiten müssen. Der Architekt, Softwareentwickler, Mediendesigner oder Influencer aber kann auch von Madrid aus für Südtirol arbeiten. Auch der Rekrutierungsprozess verändert sich radikal. Arbeitsleistungen werden in der Plattform angeboten und nachgefragt. Arbeitgeber, die Personen exklusiv an sich binden möchten oder solche, die Arbeitsleistungen einkaufen wollen, werden sich mit der Attraktivität und Zahlungsbereitschaft ihrer Mitbewerber messen müssen.

In Ländern wie Schweden, USA und Australien berichten Arbeitgeber über Erfolge mit dem Arbeitsmodell „Weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn.“ Wie stehen Sie dazu? 

Blickt man auf die meistverbreiteten Kollektivverträge, gelten als Standard-Wochenarbeitszeit in der Privatwirtschaft die 40 Stunden, im öffentlichen Dienst die 38. Die Tendenz geht in allen fortgeschrittenen Ländern in Richtung Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Möglich wird dies durch den verstärkten Einsatz an digitaler Technik und weniger menschlicher Arbeit. Aktuell sind wir wegen Corona in einer Ausnahmesituation, aber die Vier-Tage-Woche könnte auch schon bald in Südtirol Realität werden.


Laut einer aktuellen Studie des AFI sind Südtirols Arbeitnehmer – im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – eher Teamworker als Einzelkämpfer. Worauf führen Sie das zurück und wie wirkt sich das aus?

Das hängt zum Teil mit den Sektoren und den Betriebsgrößen zusammen, die wir in Südtirol vorfinden. Wie unsere Studie belegt, steht Südtirol mit 68 % an Mitarbeitern, die im Team arbeiten, im europäischen Vergleich ziemlich gut da. Teamarbeit kommt besonders häufig dort vor, wo die Arbeitsaufgaben vielschichtig sind oder wo ergebnisoffen gearbeitet werden kann. Teamarbeit strahlt vielfach positiv aus, denn sie erfüllt das menschliche Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinsamkeit. Mitarbeiter sind dadurch motiviert, zu Höchstleistungen fähig und auch vor Stress besser geschützt. Auch die Mitarbeiterführung wird einfacher: Durch selbstverantwortliche Teams wird der Chef entlastet und muss nicht mehr jedem auf die Finger schauen.

ZUR PERSON

Stefan Perini, Volkswirt. Beruflicher Einstieg im Ökoinstitut Südtirol / Alto Adige, danach Erfahrungen im ASTAT und im WIFO der Handelskammer Bozen. Seit Oktober 2012 leitet er das AFI Arbeitsförderungsinstitut. Seine Schwerpunktthemen: Zukunft der Arbeit, Konjunktur, Einkommen, Verteilung, Welfare und Wohnen.

 


ARBEITSFÖRDERUNGSINSTITUT SÜDTIROL (AFI)

Das Arbeitsförderungsinstitut ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Führung des Institutes obliegt den Südtiroler Gewerkschaften und den repräsentativsten Sozialverbänden im Land. Die Mission des AFI ist es, durch Forschung und Bildung die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Südtiroler Arbeitnehmerschaft zu stärken.