Ausgabe 03/22 -

Der Sprung in ein neues Leben

Die Tirolerin Kira Grünberg ist seit einem schweren Trainingsunfall im Juli 2015 querschnittsgelähmt. Die ehemalige Stabhochspringerin erzählte bei einer Online-Veranstaltung der Raiffeisenkasse Überetsch zum Thema Resilienz, Optimismus und Absicherung ihre persönliche Geschichte.

Foto: Kira Grünberg

ZUR PERSON

Kira Grünberg ist eine österreichische Politikerin und ehemalige Stabhochspringerin und Leichtathletin. Bis heute hält sie den österreichischen Rekord im Stabhochsprung. Durch einen schweren Trainingsunfall im Juli 2015 ist sie querschnittgelähmt. Mit 24 Jahren ist sie als Abgeordnete der ÖVP in den Nationalrat eingezogen und engagiert sich dort vor allem für Behindertensport und Inklusion. Kira Grünberg lebt in Kematen in Tirol. 

 


Frau Grünberg, der 30. Juli 2015 hat Ihr Leben schlagartig verändert. An was können Sie sich noch erinnern?

Kira Grünberg: Zunächst war es ein ganz normaler Trainingstag. Bei meinem Unfall-Sprung konnte ich nicht genug Energie auf den Stab übertragen. Dadurch hatte ich zu wenig Schwung und bin aus ca. vier Metern Höhe nicht auf, sondern vor der Matte gelandet, genauer gesagt auf dem Metallrahmen des Einstichkastens. Dabei habe ich mir den fünften Halswirbel gebrochen und das Rückenmark stark gequetscht. Ich war immer bei Bewusstsein und mir war sofort klar, da ist jetzt etwas passiert, das mein Leben verändert, denn ich konnte meinen Körper nicht mehr bewegen. Die Rettungskräfte brachten mich dann gleich in die Notaufnahme.

Wie haben Sie die ersten Wochen erlebt?

In der Universitätsklinik Innsbruck wurde ich sofort notoperiert. Die Ärzte haben mich ein, zwei Tage danach über die Folgen der Halswirbelverletzung aufgeklärt, aber ich war zu aufgewühlt, um das alles zu verstehen. Erst einige Tage später habe ich realisiert: Ich werde von nun an im Rollstuhl sitzen und mein Leben wird sich gravierend ändern. In den nächsten Wochen musste ich meinen Körper neu kennenlernen, schauen, was kann ich bewegen und wie kann ich mich bewegen – das war für mich ein Lernprozess. Vor allem musste ich lernen, Hilfe von anderen anzunehmen und geduldig zu sein.

Wer hat Sie in diesem Schockzustand aufgefangen?

In erster Linie waren es natürlich meine Eltern, die den Trainingsunfall live miterlebt hatten, meine Familie und Freunde, die Ärzte und Pflegekräfte, meine Sportkollegen, also mein engstes Umfeld. Diese Unterstützung hat mich getragen und ermutigt. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Anteilnahme an meinem Unglück war riesengroß, Genesungswünsche aus aller Welt trudelten ein. Auch mein Sportpsychologe war eine große Hilfe für mich. In meiner 7-monatigen Reha-Zeit habe ich mich intensiv mit anderen Querschnittgelähmten ausgetauscht. Da habe ich gesehen, dass die meisten ein normales Leben führen, mit Arbeit, Auto, Urlaub, Partnerschaft u.a.m.


Sie haben einmal gesagt: „Meine mentale Stärke war ein Geschenk.“ Was meinen Sie damit genau?

Meine Therapiefortschritte verdanke ich erstklassigen Therapeuten, meinem Umfeld und meinem eisernen Willen. Als Sportlerin war ich sehr ehrgeizig und zielstrebig, ich hatte immer schon einen enormen Kampfgeist und einen langen Atem. Diese Eigenschaften kamen mir nach dem Unfall sehr zugute. Mittlerweile habe ich mich in ein neues Leben zurückgekämpft und nie aufgegeben – darauf bin ich stolz. Ich habe meinen Körper lieben gelernt, so wie er jetzt ist, das hat gedauert, aber jetzt bin ich mit mir im Reinen.

Was bedeutet das im Alltag?

Ich arbeite mit persönlichen Assistentinnen, die das machen, was ich selbst nicht kann. Sie helfen mir in der Früh vom Bett in den Rollstuhl und beim Anziehen. Aber ich habe hart trainiert, um Dinge zu schaffen, die ich nach meinem Unfall nicht mehr konnte: zum Beispiel Zähneputzen oder Schminken. Vieles ist Übung. Zudem habe ich einen treuen Begleiter, der mir durch den Alltag hilft: Balu, mein lieber Assistenzhund. Er fängt mich auch auf, wenn es mir seelisch mal nicht so gut geht.


Haben Sie nie mit Ihrem Schicksal gehadert?

Die Frage „Warum gerade ich?“ habe ich mir nur zu Beginn gestellt. Relativ schnell bin ich draufgekommen, dass niemand diese Frage beantworten kann. Unfälle passieren eben. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, um mit einem Schicksalsschlag umzugehen. Meine Philosophie ist: Jeder hat so eine Art Lebensbuch, in dem bestimmte Fixpunkte vorbestimmt sind, bei mir war es eben ein Unfall, der mein Leben auf den Kopf stellt. Mit dieser Vorstellung kann ich gut leben.

Waren Sie ausreichend versichert?

Ich hatte – Vater sei Dank – eine private Unfallversicherung und war auch über den Österreichischen Leichtathletikverband versichert. Als junger Mensch ist man oft unbekümmert und denkt nicht daran, dass etwas Schlimmes passieren kann. Ich rate jedem, sich beraten zu lassen und sich gut abzusichern. Mit den Versicherungsgeldern haben wir mein Elternhaus umbauen können und die Wohnsituation auf meine Bedürfnisse abgestimmt.

Sie haben über Ihre außergewöhnlichen Erfahrungen ein Buch geschrieben …

Ja, die Arbeit mit meinem Buch „Mein Sprung in ein neues Leben“ war für mich die beste Psychotherapie. Ich rate allen Menschen, die Schlimmes erlebt haben, das Erlebte niederzuschreiben. Es nimmt einem die Last von der Seele. Auch darüber reden hilft schon enorm.

Wie haben sich Ihre Zielsetzungen geändert?

Früher hatte ich sportliche Ziele, heute habe ich andere, aber ich bin der gleiche Mensch geblieben, nur etwas gelassener. Aus den Fragmenten meines früheren Lebens habe ich mir ein neues, gutes Leben gebastelt. Seit 2017 bin ich für die ÖVP im Österreichischen Nationalrat tätig. Ich bin Sprecherin für Menschen mit Behinderungen und setze mich dafür ein, ihr Leben leichter zu gestalten. Auch werde ich oft zu Veranstaltungen eingeladen, wo ich meine Geschichte erzähle, um anderen Mut zu machen. Privat würde ich gerne eine Familie gründen, mit eigenem Haus, Mann, Kindern und Hund (lacht). Aber ich plane nicht mehr so viel. Ich lebe im Hier und Jetzt. Für alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, gilt doch dasselbe: nämlich das Beste aus seinem Leben zu machen.

BUCHTIPP: 

Kira Grünberg: „Mein Sprung in ein neues Leben“

Kira Grünberg erzählt ihre inspirierende Geschichte: von der ehrgeizigen und talentierten Profisportlerin über ihren folgenschweren Trainingsunfall bis zu ihrem heutigen Leben, das sie mit Lebensfreude meistert. Erschienen im edition a Verlag Wien.

 


Buch – Mein Sprung in ein neues Leben