Ausgabe 06/14 -

„Im Letzten ist Glaube Beziehung“

In der Weihnachtszeit rücken Fragen des eigenen Lebens und des Glaubens wieder stärker in den Mittelpunkt. Für Bischof Ivo Muser ist Glaube vor allem eine Beziehung, sagt er im folgenden Gespräch.

Vor 125 Jahren wurde in Südtirol die erste Raiffeisenkasse gegründet. Bis heute haben sie als Genossenschaftsbanken viel zum Wohlstand im Land beigetragen. Dennoch tun sich heute immer mehr Menschen schwer, finanziell mitzuhalten…

Bischof Ivo Muser: Südtirol ist immer noch ein reiches Land und trotzdem gibt es Armut, auch versteckte Armut. Viele schämen sich, ihre Armut zu zeigen. Häufig fühlen sich Menschen genötigt, ökonomisch mitzuhalten, um nicht „out“ zu sein. Leider wird in unserer Gesellschaft oft stark vermittelt: Wert bekommst du durch das Haben und nicht in erster Linie durch das Sein. Und das wäre meiner Meinung nach der Perspektivenwechsel, um den es geht: Wert habe ich einfach durch mein Sein. Nicht durch mein Tun, Leisten, Haben. Das ist alles wichtig, aber den letzten Wert kann uns nur das Sein vermitteln. Es würde in unserer Gesellschaft diesen Perspektivenwechsel brauchen. Auch in großen ethischen Fragen.

 

Wie meinen Sie das?

Bischof Ivo Muser: Es ist letztlich eine ganz andere Perspektive, wenn man sagen kann, das Leben ist unantastbar. Das Leben ist nicht aufteilbar in lebenswert und lebensunwert, nur weil jemand mehr hat oder mehr leistet. Was uns alle verbindet, ist das Menschsein. Bei aller Unterscheidung. Niemand von uns hat mehr Wert. Und hier muss man sagen, die großen Zusagen könnte unser Glaube vermitteln.

Inwiefern kann der Glaube helfen?

Bischof Ivo Muser: Der Mensch ist Geschöpf, das macht die Würde des Menschen aus. Das Sein des Menschen, das Leben ist heilig. Das ist die Grundüberzeugung des Glaubens. Die Botschaften unserer heutigen Gesellschaft wie etwa Spaß und Genuss sind zwar unmittelbarer, aber nicht nachhaltiger als jene der Kirche. Ich glaube, nachhaltig ist das, was unsere Beziehungsfähigkeit stärkt. Wir sollten vermehrt das fördern, was unsere Beziehungsfähigkeit stärkt. Heute ist vieles, was mit Beziehung zu tun hat, brüchig geworden

 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bischof Ivo Muser: Das sieht man beispielsweise an Ehe und Familie, aber nicht nur dort. Es werden vielfach Idealbilder vermittelt, welche Menschen oft überfordern. Das hat auch mit dem Immer-mehr, Immer-besser, Immer-perfekter in der Gesellschaft zu tun. Die Gesetze des Marktes, der Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Profitsteigerung, die sicher auch legitim sind, dürfen nicht die einzigen Kriterien sein und vor allem nicht absolut gesetzt werden. Das Kapital muss im Dienst der Menschen stehen und nicht umgekehrt!


Was ist heute die Botschaft der Kirche an die Menschen?

Bischof Ivo Muser: Weniger kann mehr sein. In vielen Bereichen. Das Leben wird dann wesentlicher. Wir sollten uns wieder mehr „erden“, um uns besser bewusst zu machen, worauf es ankommt.

 

Worauf kommt es denn an?

Bischof Ivo Muser: Wir haben heute eine sehr individualistische Sicht von Sinn und Glück. Entscheidend ist aber die Einsicht: Um Sinn im Leben zu erfahren, brauche ich immer die anderen. Der Mensch wird, biblisch gesehen, stets in einer Beziehung gesehen: Ich, die anderen und Gott. Fällt in dem Dreigestirn etwas aus, entstehen Schieflagen.

Warum ist dieses Dreigestirn so wichtig?

Bischof Ivo Muser: In der Begegnung zwischen Menschen spielen Enttäuschungen und Erfahrungen des Scheiterns immer wieder eine Rolle. Und hier würde ich sagen, den letzten Halt im Leben kann nur Gott vermitteln. Ich bin überzeugt: Die großen Fragen unseres Lebens, die sich jeder Mensch irgendwann stellt, sind allesamt religiöse Fragen. Religion bedeutet wörtlich die Fähigkeit und das Bedürfnis, sich anzubinden. Ohne Gott gibt es keinen absoluten Sinn. Natürlich kann ich sagen, ich lebe einfach, aber ich muss mir klar sein, die Entscheidung für oder gegen Gott ist eine Entscheidung für einen letzten Sinn oder nicht. Wichtig ist auch die Einsicht, dass Gott eine Wirklichkeit ist, die uns übersteigt.

Foto: Bischof Ivo Muser:
“Um Sinn im Leben zu erfahren, brauche ich immer die anderen. Und ohne Gott gibt es keinen absoluten Sinn.“

Eine Wirklichkeit, die uns übersteigt?

Bischof Ivo Muser: In einer Überzeugung kommen ja alle Religionen überein: Es gibt diese Dimension, die uns übersteigt. Die ältesten Zeichen von Religion haben häufig zu tun mit dem Totenkult. Alle unsere Grenzen, die wir Tag für Tag erfahren, zeigen ihre größte Kraft im Tod. Der Mensch hat sich nie abgefunden mit dieser Grenze. Die ersten Aussagen in der Heiligen Schrift sprechen dann auch vom Menschen als „Geschöpf“. Und Geschöpf heißt, ich genüge nicht mir selber, sondern ich verdanke mich jemandem. Der Mensch muss also anerkennen, dass er nicht Gott ist. Wenn wir sein wollen wie Gott, Herr sein wollen über Leben und Tod, dann werden wir zu einer Gefahr für andere. Der Traum von absoluter Macht ist eine perverse Form davon, dass ich mich nicht begnüge, Mensch zu sein. Und Mensch sein hat immer auch etwas zu tun mit der Dimension des Angewiesen-Seins, des Sich-in-Beziehung-Setzens mit anderen.

 

Was bedeutet also für Sie Glaube?

Bischof Ivo Muser: Glaube ist für mich Beziehung. Was uns zutiefst ausmacht, auch mit unserem Sehnen, unserem Wollen, auch mit dem, was wir mit Glück verbinden, das ist immer ein Beziehungsgeschehen. Große Erfahrungen des Glücks wie auch der Trauer muss ich mit jemandem teilen. Und deswegen ist Glaube für mich Beziehung – dass ich eben nicht individualistisch um mich selber kreise, sondern mein Leben verstehe als ein Beziehungsgeschehen. Für das Gottesverhältnis ist es, christlich gesprochen, ganz entscheidend, dass wir von einem personalen Gott, einem personalen Gegenüber, sprechen.

Sie sagten vorhin, zum Glauben gehört die Beziehung zu Gott und den Menschen.

Bischof Ivo Muser: Richtig, zum Glauben brauche ich die Gemeinschaft. Christlich gesprochen kann ich keine Gottesbeziehung haben ohne andere Menschen. Und deswegen: im Letzten ist Glaube Beziehung. Ich lebe auf eine Beziehung hin. Daher ist es ein großes Geschenk, glauben zu dürfen. Der Glaube bringt eine große Freiheit und eine klare Perspektive ins Leben. Weil Gott uns in Jesus selber gezeigt hat, dass er dort noch nicht am Ende ist, wo wir Menschen am Ende sind. Und das Größte ist natürlich tatsächlich, dass der Tod überwunden ist. Das Leben bleibt nicht mehr eingegrenzt zwischen der engen Zeitspanne von Geburt und physischem Tod.    _th

Ivo Muser

Ivo Muser, geboren 1962 in Bruneck, Studium der Philosophie und Theologie in Innsbruck, 1987 Priesterweihe, ab 1991 Privatsekretär von Bischof Wilhelm Egger, Dozent und Regens des Priesterseminars in Brixen. Ab 2002 Kanonikus, ab 2005 Dekan, 2011 zum Bischof der Diözese Bozen-Brixen geweiht. Vergangenen Oktober hielt Bischof Ivo Muser anlässlich der Veranstaltung „125 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol“ ein viel beachtetes Referat über die Bedeutung der Genossenschaftsarbeit.