Ausgabe 06/20 -

Wirtschaft – Schnee: das weiße Gold

Kinder und Wintersportler lieben ihn, Autofahrer fürchten ihn. Schnee erfüllt viele wichtige Funktionen, aber vor allem ist er ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

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Es handelt sich um ein faszinierendes, hochkomplexes Phänomen: Schnee ist Naturerlebnis und Spaßfaktor, Sehnsuchtsort und tödliche Bedrohung, wenn er als Lawine zu Tal donnert. Schnee ist als Wasserspeicher unverzichtbar für unsere Wasserversorgung und bremst als weißer Spiegel die Überhitzung der Erde. Und Schnee ist ein Faktor, ohne den der für Südtirol so wichtige Wintertourismus nicht funktionieren würde.


Ein flüchtiges Vergnügen

Schnee fasziniert uns, seit wir Kinder sind. Die langen Nachmittage auf der Rodel und beim Schneemannbauen, Schneeballschlachten und die Vorfreude, wenn die Oma an Heiligabend vor dem Haus die Kerze in den Schnee steckte, damit das Christkind den Weg findet. Ohne Schnee war es kein richtiges Weihnachten. Heutzutage sind weiße Weihnachten die Ausnahme, zumindest in den Tälern. Es wird wärmer, es gibt immer weniger Schneetage, die Schneegrenze wandert nach oben. Wenn es im Tal mal schneit, wird aus der weißen Pracht schnell grauer Matsch. Was für die Talbewohner ein Wermutstropfen ist, ist für Tourismustreibende existenzbedrohend.

Wirtschaftsfaktor Schnee

Im Winterhalbjahr 2019/20 verzeichnete Südtirol knapp 2,3 Millionen Gästeankünfte und 9,7 Millionen Übernachtungen. Die Zahlen gingen coronabedingt gegenüber dem Vorjahr zwar um fast ein Viertel zurück, betrachtet man aber allein den Zeitraum bis Februar 2020, so gab es fast zehn Prozent Zunahme bei den Ankünften und den Nächtigungen.

Und es geht nicht nur um das Wohlergehen von Hoteliers und Skiliftbetreibern. Der Tourismus ist ein Schlüsselsektor für das Wirtschaftswachstum in Südtirol. Über 13.000 Betriebe und rund 33.000 Beschäftigte zählt der Wirtschaftszweig. Von ihm profitieren indirekt auch viele andere bedeutende Sektoren, egal ob Baugewerbe, Einzelhandel oder Handwerksbetriebe. Südtiroler Unternehmen sind Spezialisten und manche sogar Weltmarktführer in den Bereichen Alpine Technologien, Beschneiungsanlagen und Seilbahntechnik. Dank der im Wintersportbereich erworbenen Kompetenzen können diese Unternehmen auch in anderen Sektoren erfolgreich sein, Stichwort Seilbahnen im städtischen Mobilitätsbereich. Zu den Vorzeigeeinrichtungen zählt auch das Eurac-Institut für Alpine Notfallmedizin.

Die unmittelbare Wertschöpfung des Tourismussektors liegt laut ASTAT bei 11 Prozent der Gesamtwertschöpfung, erklärt Tourismusexperte Thomas Bausch. Dazu kommen die indirekten Effekte, zum Beispiel im Handwerk und Einzelhandel, die vom Tourismus profitieren sowie die Konsumausgaben der im Tourismus Beschäftigten. Das macht nochmal 5 bis 6 Prozent aus, somit liegt der Anteil an der Gesamtwertschöpfung über 16 Prozent. Bezogen auf den privaten Anteil der Gesamtwirtschaftsleistung Südtirols, also ohne den öffentlichen Sektor, erbringt der Tourismus deutlich mehr als ein Viertel dieser Wirtschaftsleistung.

Für viele Skigebiete ist die künstliche Beschneiung ein Muss geworden.
Skigebiet im Winter

Die Schattenseiten

Es ist aber nicht alles Pulverschnee, was in der Sonne glänzt. Auf der Schattenseite der Entwicklung stehen die große Abhängigkeit Südtirols vom Wirtschaftssektor Tourismus, Eingriffe in die Umwelt, der zunehmende Verkehr, die Verschandelung der Landschaft, Wasser- und Energieverbrauch, Erosion und Schädigung der Böden sowie der Massentourismus auf Kosten der Lebensqualität der Einheimischen.
Doch Bausch relativiert (siehe Interview): „In den vergangenen zwanzig Jahren wurden in Südtirol kaum neue Skipisten gebaut. Die Flächen werden im Sommer beweidet, wir finden einen Artenreichtum wie auf einer vergleichbaren Wiese. Bodenverdichtung gibt es nur an wenigen Stellen.“ Auch der böse Wasserverbrauch sei ein drolliges Thema. Das Wasser werde ja nicht verbraucht, sondern schmilzt und kehrt in den Kreislauf zurück. Es geht, wenn schon, um die Herkunft des Wassers. Ist es Trinkwasser, das aus dem Tal hochgepumpt wird oder gesammeltes Oberflächenwasser? In Südtirol sei das Wasser aber kein Problem. „Ich sage nicht, Skifahren ist völlig unproblematisch, aber die pauschale Verurteilung ist unberechtigt und unsachlich“, sagt Bausch.


Schmilzt uns die Zukunft weg?

Bleibt das Problem der Schneesicherheit. Sie ist unverzichtbar. Wenn die Touristen kommen, müssen die Pisten termingerecht weiß sein. Das gespannte Warten darauf, dass es endlich schneit, fällt weg, die Naturerfahrung Schnee wird entzaubert. Doch wie interessant ist es, auf einem weißen Band im grünen Wald ins Tal zu fahren?
Das stört den gemeinen Skifahrer überhaupt nicht, meint Bausch. „Beim Skifahren ist alles im Blickfeld weiß. Störend ist es, wenn ich im Tal bin und nach oben schaue, aber deswegen verzichtet kaum jemand aufs Skifahren. Es geht in der ersten Linie um das Skifahrerlebnis, weniger um das Landschaftsbild. Zudem sind die Berge im Winterpanorama fast immer schneebedeckt.

Bausch sieht die eigentliche Herausforderung anderswo, denn durch die relativ hohe Lage der meisten Skigebiete sei Südtirol vom Klimawandel weniger betroffen. Die größere Herausforderung sei der demographische Wandel. „Die Jahrgänge, die in Deutschland und Österreich in der Schule Skifahren gelernt haben, fallen langsam weg. Zum einen, weil Skifahren relativ teuer ist und es sich immer weniger leisten können, zum anderen, weil Familien, zumindest jene, die eine traditionelle Verbundenheit mit Berg und Schnee haben, immer weniger Kinder haben.“ Große Hürden werden sich heuer zweifels- ohne durch die Corona-Situation ergeben. Für den Verband der Südtiroler Seilbahnunternehmer wäre die Schließung der Skigebiete ein schwerer Schlag, der vor allem Berggebiete und den Tourismus treffe. Werden die Aufstiegsanlagen gesperrt, sperren auch die Gastbetriebe zu und die Wirtschaft kommt zum Erliegen, befürchten viele.

Ob Klimawandel, mangelnde Lust aufs Skifahren oder Corona: Südtirols Wintertourismus steht vor großen Herausforderungen, soll eine der Trumpfkarten der Südtiroler Wirtschaft auch in Zukunft stechen.

UMWELT & WINTERTOURISMUS – Wintertourismus nachhaltiger machen

Tourismusexperte Thomas Bausch sagt, der Wintersport sei nicht der Klimasünder, als der er oft hingestellt werde.

Ansetzen müsse man ganz woanders.

Herr Bausch, wie bewerten Sie den Wintersport als Tourismusform bezüglich seiner Umweltauswirkungen?

Thomas Bausch: Die Aussage, der Wintersport sei die schlimmste Form des Winterurlaubs, müssen wir einordnen. Die CO2-Emissionen der bundesdeutschen Winterurlauber zum Beispiel entstehen zu 93 Prozent durch Flugreisen in warme Regionen, die Anreise in den Alpenraum macht nur rund 2,5 Prozent aus. Zudem greift es zu kurz zu sagen, geht Winterwandern statt Skifahren, da die Anreise in den Urlaub die höchste Belastung mit sich bringt. Auch die Wanderer kommen mit dem Auto.

Aber Beschneiung, Pistenpräparierung und so weiter ist doch sehr energieintensiv?

Die Beschneiung und Pistenpräparierung fallen, auf den einzelnen Skifahrer gerechnet, wenig ins Gewicht. Das ist kein Vergleich zur Belastung durch die meist langen Anreisen. Dadurch entzieht man sich nicht der Verantwortung, aber es relativiert die Debatte.

Wie kann man Wintertourismus nachhaltiger machen?

Die Hauptbelastung ist die Mobilität. Es braucht durchgängige Transportketten einschließlich der letzten Meile für die Anreise sowie Angebote am Urlaubsort. Man muss die regionale Wertschöpfungskette erhöhen, ich brauche zum Beispiel keinen chilenischen Lachs oder Flugmango am Frühstücksbuffet. Es müssen wertige Arbeitsplätze geschaffen werden und die Einheimischen sollen als örtliche Gemeinschaften leben können, ohne dass alles dem Tourismus untergeordnet wird.

Was erwartet uns im Winter, Stichwort Corona?

Eine aktuelle Befragung ergab, dass 90 Prozent der Gäste ganz oder ziemlich sicher wieder einen Skiurlaub in Südtirol machen wollen. Die Frage ist, ob die äußeren Umstände es zulassen und wir glaubwürdige Sicherheitskonzepte einrichten.

Corona hat gezeigt, dass unsere Wirtschaft auf tönernen Füßen steht.

Je größer wir werden, desto krisenanfälliger sind wir. Wir sollten uns zukünftig qualitativ verbessern und auf quantitative Entwicklungen verzichten. Ich sehe da ein Umdenken bei den Akteuren.

Thomas Bausch ist Wirtschaftsingenieur und Direktor des Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität der Uni Bozen am Standort Bruneck. Er forscht zu Tourismus und Destinationsmanagement mit einem Schwerpunkt auf demographischen Wandel und Klimawandel.