Ausgabe 05/19 -

Wird Facebook bald die größte Bank der Welt?

Facebook will mit Libra die erste stabile Kryptowährung der Welt einführen. Doch es regt sich Gegenwind – das Projekt ruft Banken, Aufsichtsbehörden und Datenschützer auf den Plan. Wir haben Martin von Malfèr, Finanzexperte der Raiffeisen Landesbank Südtirol, befragt. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Herr von Malfèr, was ist Libra?
Martin von Malfèr: Libra ist der Versuch des Unternehmens Facebook, eine Parallel- oder Komplementärwährung zu schaffen, um den internationalen Zahlungsverkehr an sich zu reißen. Weltweit zählt Facebook 2,7 Milliarden aktive Nutzer. Wenn nur 1 Prozent davon bei Libra aufspringt, sind es 27 Mio. Menschen, die ihr Geld Facebook anvertrauen. Das ist mehr, als manche Länder Einwohner haben.

Warum entwickelt Facebook überhaupt eine Kryptowährung?
Martin von Malfèr: Das Geschäftsmodell Facebook baut auf Anzeigenumsatz auf und verzeichnet hohe Gewinne, sieht sich aber immer mehr mit regulatorischen Auflagen konfrontiert und muss sich quasi neu erfinden. Eine private Firma namens Libra Association mit Sitz in Genf will nun, an allen institutionellen Bank­kanälen vorbei, Zahlungen übers Internet kanalisieren. ­Dabei erklärt Facebook, vor allem die große Anzahl an Erdenbürger, ca. 1,7 Milliarden ­Menschen, erreichen zu wollen, die derzeit keinerlei Zugang zum Bankensystem haben. Viele von ihnen besitzen aber ein Mobiltelefon, durch welches die Nutzung der Digitalwährung möglich wird. Schätzungen zufolge könnte durch ­Libra mehr als einer Milliarde Menschen weltweit unkompliziert der Zugang zu Finanz­leistungen ermöglicht werden.

Welche Vorteile haben Libra-Anwender, und warum die Skepsis der Datenschützer?
Martin von Malfèr: User können über die Internetplattform der Libra Association unkompliziert Geldbeträge zwischen allen Facebook-Apps – Messenger, WhatsApp und Instagram – versenden. Darüber hinaus sollen aber auch Einkäufe über alle Grenzen hinweg schnell, einfach und kostengünstig abgewickelt werden. Facebook steht dazu mit zahlreichen Online-Händlern im Gespräch und konnte mit Mastercard, Paypal und Visa bereits schwergewichtige Partner für das Projekt gewinnen. Allerdings ist man bereits heute gegenüber Facebook gläsern. Facebook analysiert meine Bilder, meine Bewegungsmuster und bekommt über Libra nun auch Einblick in mein Kaufverhalten. Verständlich, dass Datenschützer – nicht zuletzt nach den vielen Datenleaks-Skandalen von Facebook – davor warnen.


Wer kann Libra kaufen und wie funktioniert das?
Martin von Malfèr: Jeder kann Libra einkaufen, und dies wohl an allen Devisenbestimmungen vorbei. Mit der eigenen Währung, also dem Euro oder dem US-Dollar, kann man Libra über Facebook erwerben und in einem persönlichen Libra-Konto hinterlegen. Die Währung ist als Stable Coin konzipiert. Das ist elektronisches Geld, das an den Wechselkurs offizieller Währungen geknüpft ist und somit nicht den stark schwankenden Kursen gängiger Kryptowährungen zum Opfer fallen soll. Die Dollars und Euros, die Libra Association erhält, werden in einem Fonds hinterlegt und international investiert. Der Fonds soll die Wechselkurse zwischen den Währungen möglichst stabil halten. Ob dies gelingt, steht in den Sternen.

Ist Libra eine Bedrohung für das ­Geschäftsmodell der klassischen Banken?
Martin von Malfèr: Schon seit längerem stoßen globale Unternehmungen in den Bankenmarkt vor. In den USA ist bereits heute Walmart der größte Kreditgeber, und auch Amazon wirbt allseitig mit seinen Kreditkarten. Da ist es nicht verwunderlich, wenn nun auch Facebook Bank spielen will. Einlagen in Libra bringen dabei ­keine Zinsen, direkte Kredite wird es aber bis dato seitens von Libra Association nicht geben. Eine Gefahr kann Libra über den Investmentfonds werden, der die eingezahlten US-Dollars-, Euro- und Yen-Bestände global investiert. Denn was passiert, wenn dieser Fonds in Schieflage gerät?

Kann Libra von Kriminellen ­missbraucht ­werden?
Martin von Malfèr: Generell hinterlassen alle elektronischen Währungen Spuren im Netz. Diese Spuren werden umso sichtbarer, je mehr die zentrale Zahlstelle Facebook für die Abwicklungen verantwortlich zeichnet. Außerdem wird ja auch der Wechsel von Euro oder US-Dollar in Libra nicht ohne Geldwäscheprüfung erfolgen. Für Kriminelle gibt es andere Krypto­währungen, wo sie ihre Gelder besser und spurenloser ­transferieren können.


Was halten Europas Währungshüter und die nationalen Aufsichtsbehörden von ­Kryptowährungen?
Martin von Malfèr: Kryptowährungen werden einerseits mit viel Interesse verfolgt, da die Blockchain-Technologie vielversprechend ist. Verständlicherweise herrscht aber auch viel Argwohn vor, da sie die Währungshoheit in ­Frage stellen. Lange Zeit drehte sich die Diskussion um die Frage, was Kryptowährungen eigentlich seien, Zahlungsmittel oder Anlage- und Spekulationsprodukte. Derzeit tendieren die Aufsichts­behörden eher zu zweiter Interpretation, weshalb sich die Wertpapier-Aufsichtsbehörden vermehrt in die Thematik einmischen. Damit werden Krypto­währungen auf kurz oder lang in den Anwendungs­bereich der MIFID fallen.

Wie können Finanzstabilität und ­Verbraucherschutz gesichert werden?
Martin von Malfèr: Der Gesetzgeber tendiert, Trends immer sehr spät zu erkennen und zu regeln. Dies war bei den Kryptowährungen bisher nicht anders. Verbraucherschutz soll aber künftig über die Regeln des Anlegerschutzes gewährleistet werden. Banken, welche den Zugang zu ­diesen Währungen ermöglichen, wären nach ­die­ser Heran­gehensweise gefordert, Kunden auf die wirklichen Risiken dieser Währungen aufmerksam zu machen. Wann dies endlich zur Norm wird, kann man derzeit nur mutmaßen.