Ausgabe 01/24 -

Sachwalterschaft: Warum rechtliche Fürsorge unverzichtbar ist

Wenn ein Mensch aufgrund von Krankheit, Beeinträchtigung oder Sucht nicht mehr in der Lage ist, bestimmte Belange selbst zu erledigen, braucht er Hilfe. Immer öfter in Form der Sachwalterschaft.

Johanna, eine Seniorin, leidet unter Demenz. Mit fortschreitender Krankheit wird ihren Kindern bewusst, dass sich die verwitwete Mutter nicht mehr selbst um ihre Finanzen kümmern kann. Also wenden sie sich an den Verein für Sachwalterschaft in Bozen, der sie berät und eine Lösung vorschlägt. Über einen Antrag an das Vormundschaftsgericht wollen sie für ihre Mutter einen Sachwalter ernennen lassen. Nach Anhörung der Kinder, Gespräch mit der Mutter und Einsichtnahme in die ärztlichen Unterlagen überträgt der Richter Tochter Barbara

den Auftrag zur Sachwalterschaft, den sie gerne annimmt. In einem gerichtlichen Dekret werden präzise die Befugnisse von Barbara festgelegt, ebenso wie die finanziellen Mittel, über die Mama Johanna frei verfügen kann – etwa, um ihren geliebten Nachmittagskaffee mit Freundinnen zu genießen. Nun hat Barbara das rechtliche Mandat, im Namen der Mutter Bankgeschäfte zu tätigen und sich um die Verwaltung des Wohnhauses zu kümmern. Johanna ist ein fiktiver, aber typischer Fall.


3.600 

Südtirolerinnen und Südtiroler haben einen Sachwalter 

Rund die Hälfte von ihnen leidet an einer Demenzerkrankung, oft geht es aber auch um kognitive, psychische oder physische Einschränkungen oder Abhängigkeitserkrankungen. Der Sachwalter kümmert sich meist um die finanziellen Angelegenheiten, um außerordentliche Entscheidungen sowie um die Verwaltung von Immobilien.

Quelle: Verein für Sachwalterschaft, 2022


Der Verein für Sachwalterschaft

ist die erste Anlaufstelle für Personen, die von dieser Thematik betroffen sind. Dieser wurde 2010 auf Initiative des Vormundschaftsrichters Peter Michaeler gegründet. Der Verein bietet kostenlose Erstberatung, stellt Informationsmaterial zur Verfügung, organisiert Ausbildungskurse und begleitet Sachwalter in ihrer Tätigkeit. Seit der Gründung wird der Verein von Roberta Rigamonti geleitet. Vorher kümmerte sie sich bereits beim Dachverband für Soziales und Gesundheit um die Sachwalterschaft, die in Italien 2004 per Gesetz eingeführt wurde. Südtirol war die erste Provinz Italiens, die dank der Unterstützung des Landes Südtirol geeignete Strukturen und Abläufe etablierte und ist heute führend in Italien.

Handlungsfähigkeit weiterhin gewährleisten

Eine Sachwalterschaft unterscheidet sich von der Entmündigung („inter­dizione“), bei der einer Person die Handlungsfähigkeit entzogen wird. „Sachwalterschaft strebt danach, die Handlungsfähigkeit der betreuten Person so wenig wie möglich zu beschneiden“, sagt Rigamonti. Sie sei flexibel gestaltbar. Beispielsweise kann sie zeitlich begrenzt und auf spezifische Bereiche festgelegt werden. In vielen Fällen greift der Sachwalter nur bei außerordentlichen Entscheidungen ein, und die betroffenen Personen können ihren Alltag weiterhin selbst bestimmen.

 

„Insbesondere bei Bankgeschäften ist die Sachwalterschaft eine wichtige Hilfe“, sagt Michael Facchini, Kunden- berater und stellvertretender Geschäftsstellenleiter der Raiffeisenkasse Salurn. Beeinträchtige Personen sind oft nicht mehr in der Lage, Bargeld am Automaten zu beheben, Überweisungen durchzuführen oder Daueraufträge zu ändern. Häufig verlegen sie Bargeld, verstecken es oder vergessen schlichtweg, wo sie es hingetan haben. Unbedachte Handlungen in Bezug auf Vermögensangelegenheiten, Geldanlagen oder Verträge können schwerwiegende Folgen haben. Leider fallen beeinträchtigte Menschen oft auch Betrügereien zum Opfer, beispielsweise durch kriminelle Schockanrufe, die sie dazu bringen, Geldbeträge auszuhändigen. Facchini: „Die Gefahrenquellen sind vielfältig und deshalb müssen betroffene Personen unbedingt geschützt werden, manchmal auch vor sich selbst.“
Die Sachwalterschaft verläuft in der Regel unproblematisch.

 

Der Sachwalter informiert die Bank und übermittelt das gerichtliche Dekret, das die Befugnisse der betreuten Person genau festlegt, beispielsweise die monatlich verfügbare Geldsumme. Diese Vorgaben werden im Kundenstamm vermerkt, um bei Kontobewegungen sofort ersichtlich zu sein. Die betreute Person bleibt in der Regel Kontoinhaber, während der Sachwalter die Bankgeschäfte anweist. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind gegeben, am Jahresende legt der Sachwalter dem Richter Rechenschaft ab.


Sorgfältige Begleitung

Obwohl Sachwalterschaft Verbesserungen gegenüber der Entmündigung bietet, kann sie ein heikles Thema sein. Eine Sachwalterschaft kann auch gegen den Willen der Person verhängt werden, wenn der Richter nach Anhörung und Prüfung ärztlicher Befunde zum Schluss kommt, dass ein Beistand erforderlich ist. Rigamonti betont jedoch, dass dies immer zum Schutz der betroffenen Person geschieht. Der Richter am Vormundschaftsgericht vertritt ausschließlich die Interessen der beeinträchtigten Person. „Das Wichtigste ist, dass Sachwalter ihre Aufgaben aus einem Gefühl der Solidarität übernehmen“, unterstreicht Rigamonti. „Die Menschen haben das Recht, sorgfältig und gewissenhaft begleitet und betreut zu werden, aber das ist nur möglich, wenn ein Sachwalter zwei oder drei Klienten hat, und nicht 20, 30 oder gar mehr.“

Wie wird der Sachwalter ausgewählt?

Die Auswahl eines Sachwalters kann unterschiedlich erfolgen. Bürger können beim Notar festlegen, wer sie im Falle einer Einschränkung vertreten soll. Fehlt eine solche Erklärung, befragt der Richter Personen nach dem Wunsch der Betroffenen. In 70 Prozent der Fälle in Südtirol übernimmt ein Familienmitglied das Amt des Sachwalters. Findet sich keine Lösung im familiären Umfeld, kann der Richter einen externen Sachwalter, meist einen Anwalt, beauftragen. Alle Sachwalter sind in einem eigenen Landesverzeichnis eingetragen. Grundsätzlich kann jede Person Sachwalter werden und eine Ausbildung absolvieren. Der Verein bietet sowohl Grundkurse als auch Fortbildungen an.

Barbara freut sich, dass sie nun rechtlich abgesichert ist und sie sich um die Angelegenheiten ihrer Mutter kümmern kann. Gerne gibt sie dem Gericht darüber Rechenschaft ab. Schließlich will sie nur das Beste für ihre Mutter, im Bewusstsein, dass auch sie möglicherweise früher oder später auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen ist.

Sachwalterschaften nehmen immer mehr zu

Roberta Rigamonti über die Zunahme von Sachwalterschaften und die Aufgaben des Vereins, dem sie vorsteht.

Frau Rigamonti, wer wendet sich an den Verein für Sachwalterschaft?

Roberta Rigamonti: In den meisten Fällen ist es ein enger Verwandter einer beeinträchtigten oder kranken Person, der den Prozess zur Bestellung eines Sachwalters einleitet. Oft wird dieser nahe Angehörige auch als Sachwalter bestellt.

 

Ist Sachwalterschaft ein häufiges Phänomen?

Als wir im Jahr 2006 den ersten Beratungsschalter eröffneten, war es unser Ziel, zehn Personen zu helfen. Bis zum Jahr 2008 hatten sich die Fälle bereits auf 180 erhöht. Heute gibt es in Südtirol etwa 3.600 mit Sachwalterschaft betreute Personen. In ganz Italien gibt es etwa 325.000 aktive Fälle, und das Potenzial liegt sogar bei über vier Millionen.

 

Welche Menschen werden durch einen Sachwalter betreut?

Vor allem ältere Menschen mit Demenz, aber auch Menschen mit Behinderungen, mit psychischen und degenerativen Krankheiten sowie mit Alkohol- oder Spielsucht.

Was ist die Aufgabe des Vereins?

Wir kümmern uns vor allem um Aufklärung, Information und Weiterbildung und betreuen aktiv 30 Fälle. Wir möchten die Beratung in den Altersheimen und den Krankenhäusern intensivieren und unsere Präsenz im ländlichen Gebiet ausweiten. Dafür brauchen wir mehr Personal, mehr Freiwillige und entsprechende Strukturen. Der Publikumsverkehr und der Austausch mit dem Vormundschaftsgericht sind sehr arbeitsaufwändig.

 

Welchen guten Rat haben Sie?

Ich empfehle allen, aktiv einen Sachwalter für sich zu wählen. Allerdings geschieht dies ähnlich selten wie die Erstellung eines Testaments oder einer Patientenverfügung. Dabei hätten wir es in der eigenen Hand, wie es uns ergehen wird, wenn es uns einmal gesundheitlich nicht mehr so gut geht.


Verein für Sachwalterschaft VFG
Siegesplatz 48, 39100 Bozen

0039 0471 188 22 32
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www.sachwalter.bz.it