Ausgabe 03/20 -

Reisetrend – Urlaub zuhause

„Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“ Goethes Zeilen passen derzeit auch perfekt für alle Reiseplaner. Den Trend zum Urlaub daheim gab es aber schon vor Corona.

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Einst mag es ein Statussymbol gewesen sein, in den Urlaub zu fahren. Wer hier blieb, erregte Mitleid: der konnte es sich wohl nicht leisten oder führte ein langweiliges Leben. Heute ist der Urlaub daheim immer beliebter, im eigenen Garten oder zumindest in der näheren Umgebung. Im Nachbarland statt auf einem anderen Kontinent.

Jeder wie er mag

Für Leni ist daheim bleiben eine bewusste Entscheidung, wenn auch nicht immer eine einfache: „Zwei Seelen wohnen in meiner Brust: die Terrassen- und Gartenseele und die Meeresseele.“ Letztere lässt sich samt dem schlechten Gewissen ob der umweltfeindlichen Autofahrt recht gut austricksen. Garten und Terrasse bedanken sich bis in den Herbst hinein für die lange und liebevolle Präsenz. Noch dazu ersparen ihr heuer die äußeren Umstände die Entscheidung. „Wem geht es besser als mir?“, nimmt sie die Blockade im Tourismus mit Humor.

Urlaub daheim hat viele Vorteile. Kein Planungsstress, kein Jetlag, keine Reise­impfung. Dafür lernt man die eigene Heimat besser kennen und verbessert den eigenen ökologischen Fußabdruck. Zudem kommt man meist günstiger davon. Ein Argument, das heuer besonders ins Gewicht fällt, weil sich viele Familien aufgrund der Corona-Krise keine Urlaubsreise werden leisten können.

Was gehört zur perfekten Sommerfrische in Südtirol dazu?

  • Wasser: See oder Schwimmbad?
    Besser beides.
  • Berge oder Wälder zum Wandern oder Spazieren
  • Luftmatratze oder Rucksack
  • Langer „Ratscher“ mit der besten Freundin
  • Mountainbike
  • Ausschlafen
  • Grillgerät für Balkon oder Garten
  • Mehr Zeit für die Kinder
  • Chillen und abschalten
  • Viele Bücher und noch mehr Bücher

 


Der Tourismus setzt heuer verstärkt auf heimische Gäste.
Ausflug mit Rad an den Badesee

Doch selbst wem der eigene Balkon zu eng ist oder wer keinen hat, kann außerhalb der eigenen vier Wände tolle Reiseziele finden, nicht zuletzt in einem Land wie Südtirol, getreu dem Motto „Wir wohnen dort, wo andere Urlaub machen.“ Auf uns warten Tage am Badesee, der Besuch eines Museums, an dem man sonst immer nur vorbeifährt, ein Rad- oder Wanderausflug. Oder wie wäre es mit einer Dorfführung, bei der man den eigenen Wohnort besser kennenlernt? Auch Christian wird nicht klagen, sollte aus der Urlaubswoche am Meer heuer nichts werden, wenngleich er den Tapetenwechsel schätzt, denn nur fern der Heimat kann er von der Arbeit abschalten. Er genießt Südtirols besondere Plätze, und die Kinder sind froh, dass ihnen die lange Autofahrt erspart bleibt.


Trend zum Urlaub in der eigenen Region

Tourismusexperte Harald Pechlaner (siehe Interview) spricht von einer Kategorie der Nichtreisenden, Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht reisen, aus finanziellen Gründen oder aus Umweltgründen. Es gibt aber auch Reiseerprobte, bei denen der Wunsch nach immer mehr und immer weiter irgendwann kippt. Man überlegt, reflektiert, macht eine Reise nach innen und sucht Nähe und Tiefe statt Weite. Der Trend zum Regionalen schlägt sich auch im Reiseverhalten nieder.

Tourismusland Südtirol

Doch abseits aller Urlaubsromantik lebt der Tourismus in Südtirol aber vor allem von den Gästen, die zu uns ins Land kommen. Allein im Jahr 2018 zählte das Landes­statistikinstitut ASTAT 7,5 Millionen Ankünfte und über 33 Millionen Übernachtungen. Seit 30 Jahren steigen die Zahlen stetig an, die Branche erwirt­schaftet eine Bruttowertschöpfung von rund 2,2 Milliarden Euro, das sind 10,6 Prozent der Bruttowertschöpfung Südtirols.
Nach solchen Rekordzahlen schaut es momentan nicht aus. Gerade in Zeiten der Corona-Krise wird es darum gehen, wie resilient, also wie widerstandsfähig, der Tourismus hierzulande ist. Wie er sich an Katastrophen und Krisen anpassen kann und wie lernfähig das System Tourismus ist, um sich nach der Krise neu aufzustellen.
„Unsere Lebenswelt und unser Wirtschaftssystem sind auf Krisen nur bedingt, teil­weise gar nicht, vorbereitet“, schreibt Thomas Streifeneder, Leiter des Institutes für Regional­entwicklung der Eurac, im Eurac-Blog Covid-19 And Beyond. „Unser System ist vulnerabel, verletzbar, krisenanfällig, kurzfristig häufig nicht anpassungsfähig und deshalb eben zu wenig resilient. Ein paar Wochen reichen, um eine, schon vor Corona in Teilen labile, Wirtschaft in existenzielle Krisen zu stürzen.“ Der Verschuldungsgrad der Südtiroler Beherbergungs- und Gastgewerbsbetriebe ist zudem extrem hoch.

Unterstützung notwendig

Der Tourismus ist ein Schlüsselsektor für das Wirtschaftswachstum in Südtirol. Über 13.000 Betriebe und rund 33.000 Beschäftigte zählt der Wirtschaftszweig. Von ihm profi­tieren indirekt auch viele andere bedeutende Sektoren, egal ob Baugewerbe, Einzelhandel oder Handwerksbetriebe. Können mehr Südtiroler, die ihren Urlaub daheim verbringen, den Mangel an auslän­dischen Gästen zumindest abfedern? Wie lange können Südtirols Tourismus­betriebe überleben, wenn wichtige Zielgruppen, wie beispielsweise die Gäste aus Deutschland, wegbrechen oder länger ausbleiben? Noch gibt es nur wenige Zahlen dazu. Prognosen sind vage und mit hoher Unsicherheit behaftet.
Das Land Südtirol hat bereits kurz- und mittelfristige Unterstützungsmaßnahmen angekündigt. Mit einem Krisen- und Konjunk­turfonds will man ein langfristiges Restart-Programm erarbeiten, um den Wirtschaftsmotor wieder in Schwung zu bringen.
Doch zurück nach Balkonien. Damit der Urlaub daheim zum Erfolg wird, gilt es einige Regeln zu beachten. Die wohl wichtigste: Raus aus der Alltagsroutine! Will heißen: Abwechslung suchen, Kraft tanken und der Entspannung frönen. Ein ungeschriebenes Gesetz – bitte nicht vergessen – lautet: Putzen verboten!

TOURISMUS NACH CORONA – Wie geht es im Tourismus weiter?

Tourismusexperte Harald Pechlaner erzählt vom Trend zu Kurz-Reisen und was auf Südtirols Tourismus nach dem Corona-Schock zukommen wird. Harald Pechlaner ist Professor für Tourismus und Unternehmertum an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Leiter des Centers for Advanced Studies an der EURAC in Bozen.

Herr Pechlaner, ist die jetzige Krise auch eine Chance, Wirtschaft und Tourismus neu aufzustellen?

Harald Pechlaner: Ja. Abseits der wirtschaftlichen Schwierig­keiten kann bei vielen Betrieben ein Nach­denken entstehen, welche Art von Tourismus man in Zukunft haben möchte.

 

Schlendert man durch Südtirols Tourismusorte fällt auf, dass ständig irgendwo gebaut und ausgebaut wird. Das geht aber nur solange gut, solange die Umsätze steigen.

Die Resilienz des Systems hat sich gezeigt, als der Tourismus innerhalb von 48 Stunden auf Null heruntergefahren worden war. Das hat gut funktioniert. Jetzt muss man sehen, ob die Gäste nach der Restart-Phase zurück­kommen. Es wird für viele Betriebe eine schwere Zeit. Die zentrale Frage wird sein: kann es ein „Weiter-wie-bisher“ geben oder sind Änderungen im Angebot notwendig.

Am Tourismus hängen Baufirmen, Handwerksbetriebe, Banken und viele weitere Wirtschaftssektoren. Wie werden diese die Einbrüche im Tourismus verkraften?

Das wird man beträchtlich spüren. Da Südtirol stark von ausländischen Märkten abhängt, werden die nächsten Monate zäh werden. Genaue Prognosen sind aber schwierig, denn schon innerhalb Südtirols wird die Rückkehr zur Normalität sehr unterschiedlich sein.

 

Die Reisen wurden bereits vor Corona immer kürzer …

Wir sehen den Trend zu Kurz-Reisen ins regionale Umfeld und das Interesse am Lebensraum. Nicht nur der Tourismusort zählt, sondern wie die Menschen in ihrem regionalen Umfeld leben.

 

Wo macht Harald Pechlaner am liebsten Urlaub?

Meine Frau sagt immer, es gibt nichts Anstrengenderes, als mit einem Tourismusprofessor in den Urlaub zu fahren. Sie wird wohl recht haben, denn ich bin am liebsten dort, wo ich auch neue Erkenntnisse mitnehmen kann.