Ausgabe 04/21 -

Glücksforschung – Die Kunst des guten Lebens

Geld allein macht nicht glücklich, sagt der Volksmund. Aber was dann? Und gibt es Glück auch in Corona-Zeiten? Ja, sagt Philosophieprofessor Wilhelm Schmid. Bei der Suche nach dem Glück geht es nicht darum, permanent Hochgefühle zu erleben, sondern ein erfülltes Leben zu führen.

FOTO: STOCK ADOBE

Die Vereinten Nationen nennen als materielle Mindestbedingungen für Glück mindestens 2.500 Kalorien und 100 Liter Wasserverbrauch am Tag, sechs Quadratmeter Wohnraum, einen Platz zum Kochen sowie sechs Jahre Schulbildung. Geht es nach dieser Definition, sollte Südtirol ein glückliches Land sein. Doch Glück ist relativ, in einem reichen Land steigen auch die Ansprüche.

Die neuesten Zahlen des Landesinstitutes für Statistik ASTAT zur Stimmung der Südtiroler zeigen, dass die Südtiroler zwar schlechter drauf sind als sonst, es ihnen aber auch nicht so schlecht geht, wie man es den Umständen entsprechend annehmen könnte. Im Jänner 2021 fühlten sich immerhin 7 von 10 der befragten Südtiroler mindestens die Hälfte der Zeit glücklich und gut gelaunt, ruhig und entspannt. 60 Prozent fühlten sich die meiste Zeit aktiv und energisch, frisch und ausgeruht. Die häusliche Stimmung allerdings hatte sich im Vergleich zum ersten Lockdown im Frühjahr 2020 um 10 Prozentpunkte verschlechtert.

Was macht ein gutes Leben aus?

Was brauchen wir, um unser Leben glücklich zu leben? François Lelord schickt in seinem Roman „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“ die Hauptfigur auf eine Reise um die Welt und lässt ihn herausfinden, was Glück und ein gutes Leben ausmacht. „Glück ist, mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt“, lernt Hector, „Glück ist, wenn es der Familie an nichts mangelt“, und „Glück ist, wenn man ein Haus und einen Garten hat“. Naheliegend, oder? Und doch, Glück ist nichts, was man erzwingen kann. Laut Glücksforschern ist es ein subjektives Wohlbefinden, das für jede und jeden etwas anderes bedeutet.

Wilhelm Schmid, Philosophieprofessor a.D. mit dem Spezialgebiet „Lebenskunst“, plädiert dafür, Glück einfach und konkret zu definieren: „Glück gibt es in vielen Formen. Ein doppelter Espresso ist für mich beispielsweise ein täglicher Glücksmoment. Das mittelfristige Glück könnte eine Reise oder ein Treffen mit Freunden sein. Beim langfristigen Glück, zum Beispiel durch eine langfristige Beziehung, muss ich darauf gefasst sein, dass ich nicht 365 Tage im Jahr glücklich sein kann.“ Der Anspruch der permanenten Glückseligkeit ist schlichtweg unrealistisch und macht unglücklich.

Das Zusammensein und der Austausch mit anderen macht glücklich.

Gluecksmoment - Gemeinsam lachen

Sinn als Glücksstifter

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die klar zeigen: Ein gutes Leben ist eines, das Sinn stiftet. Anderen zu helfen, sich ehrenamtlich zu engagieren, das Gefühl haben, gebraucht zu werden, macht Freude. „Glück ist, wenn man spürt, dass man anderen nützlich ist“, erfährt Hector. Ein gutes Leben ist auch ein selbstbestimmtes Leben. Will heißen: nicht dem Selbstoptimierungszwang der Gesellschaft und der Medien zu erliegen, sondern sich auf sich selbst zu konzentrieren. Dinge zu tun, die zu einem passen und das Ich in ein inneres Gleichgewicht bringen.


Geld ist nicht alles, aber ohne Geld geht vieles nicht

Wie viel Geld macht glücklich? Einfach immer nur mehr Geld ist es jedenfalls nicht. Auch dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen. Erkenntnis 1: Wenn man nur sehr wenig Geld hat und um seine Existenz kämpfen muss, dann macht Geld sehr glücklich. Weil es Stress und Angst nimmt und weil es eine Menge der alltäglichen Probleme löst.

Erkenntnis 2: Geld macht nur bis zu einer bestimmten Schwelle glücklicher. Es gibt scheinbar eine bestimmte „magische Schwelle“, bis zu der uns mehr Einkommen glücklicher machen kann. Danach flacht die Freude über ein „Mehr“ relativ schnell wieder ab. Studien mit Lottogewinnern sind besonders augenöffnend – sie haben einhellig ergeben: Nach spätestens zwei Jahren waren die Gewinner wieder genauso glücklich oder unglücklich wie vor dem Gewinn. 

Unumstritten ist, dass eine finanzielle Grundausstattung und ein gewisser materieller Wohlstand einen hohen Lebensstandard garantieren. Genug Geld zu haben, bietet Möglichkeiten, wie zum Beispiel mehr Bildungschancen und eine bessere Gesundheitsversorgung. Es bedeutet Freiheit und Unabhängigkeit in unserer individualisierten Gesellschaft. Gut leben heißt auch, sich sicher sein zu können, dass man sein Leben auch dann meistern kann, wenn Unvorhergesehenes passiert oder Schicksalsschläge eintreten und man in der Pension seinen Lebensstandard halten kann.  Um das zu garantieren, ist eine sorgfältige, umfassende Finanzplanung notwendig. Ob Vermögensaufbau, Altersvorsorge oder die richtige Absicherung vor existenzbedrohenden Risiken – jeder sollte sich frühzeitig und eigenverantwortlich mit diesen Themen befassen, die Raiffeisen-Berater helfen dabei mit professioneller Beratung weiter.


Wertewandel und Corona

Ein hohes Gehalt ist besonders für die Generation Y oftmals gar nicht erstrebenswert. Stattdessen rücken andere Themen, wie beispielsweise der Klima- und Umweltschutz, in den Fokus. Im Arbeitsleben wird nicht mehr die glanzvolle Karriere angestrebt, sondern man will das tun, was einem gefällt. Work-Life-Balance statt Workaholic, „Zurück zur Natur“ statt neues Auto. Dieser Wertewandel war schon vor Corona spürbar, die Pandemie hat die neue Sicht auf Glück und Zufriedenheit nochmals verstärkt. Während der langen Monate des Eingesperrtseins und der unsicheren Zukunft haben wir ein Gefühl dafür bekommen, was wirklich wichtig und nicht immer selbstverständlich ist: Gesundheit, Arbeit, zwischenmenschliche Beziehungen und Hilfsbereitschaft. Die Frage ist, ob das Gefühl lange anhält, oder wir schnell wieder zum Leben vor Corona zurückkehren. Man kann es mit vielen kleinen Schritten schaffen, ein gutes Leben zu leben. Denn, wie schon Hector auf seiner Reise erfuhr: „Es ist ein Irrtum zu glauben, Glück wäre das Ziel.“

Wilhelm Schmid

LEBENSKUNST – Sinn ist wichtiger als Glück

Wilhelm Schmid, freier Philosoph in Berlin, lehrte bis zur Pensionierung Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Sein Spezialgebiet ist die Lebenskunst. Ein Bestseller wurde sein Buch „Glück: Alles, was Sie darüber wissen müssen“ (Insel Verlag).

Herr Professor Schmid, was macht ein gutes Leben aus?

Wilhelm Schmid: Ich spreche ungern von einem guten Leben. Das Leben kann auch sehr ungut sein, zum Beispiel wenn ein Mensch krank wird. Entscheidend ist dann, wie ich die schwierige Situation bewältigen kann und ob ich Menschen in meinem Leben habe, auf die ich vertrauen kann. Grundsätzlich ergibt sich das individuelle Lebensglück nicht daraus, dass man vorübergehend  „Glück hat“, sondern vielmehr dadurch, dass man seine realen Möglichkeiten erkennt und unter diesen selbstbestimmt und klug wählt.

 

Wie wichtig sind Geld und finanzielle Sicherheit?

Theoretisch ist Geld nicht so wichtig, praktisch ist es aber sehr wichtig. Wenn ich mit Menschen rede, stelle ich fest, es ist schon ganz gut, wenn man die Rechnungen bezahlen kann. Deshalb sollte man sich um eine Arbeit bemühen, die einem gefällt und bei der man einigermaßen gut verdient. Hierzulande kann man darauf vertrauen, dass uns der Staat auffängt, wenn einem das Geld ausgeht.

Was hat uns Corona fürs Leben gelehrt?

Ein guter Teil des Lebens wird so sein wie vorher, aber der Blick auf das Leben hat sich verändert. Wir wissen jetzt, was wirklich zählt: Gesund sein, arbeiten können, soziale Kontakte, zwischenmenschliche Beziehungen und Solidarität. Wir freuen uns wieder über Restaurantbesuche und Kinder wissen jetzt, wie großartig es ist, in die Schule zu gehen. Wie nachhaltig das ist, wird sich weisen. Corona hat auch gezeigt: Digitalisierung ist sinnvoll, aber wir wollen unsere Freunde nicht nur auf dem Bildschirm sehen. Der Wert des analogen Lebens ist jetzt viel größer als vorher.

 

Sie haben sich beruflich jahrelang mit der Lebenskunst befasst. Wie kann man Ihre Erkenntnisse zusammenfassen?

Sinn ist wichtiger als Glück. Das Glück ist wankelmütig, es ist mal da und mal nicht, wir können nicht darüber bestimmen. Aber Sinn kann sehr lange da sein. Wenn ich weiß, wofür ich lebe, wofür ich arbeite, was mir Freude macht, dann kann ich mich dauerhaft darum kümmern.