Ausgabe 03/24 -

Es tut sich was bei den Zinsen

Die Inflation ist auf dem Rückzug. Wird die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen wieder senken? Wir haben mit Alex Weissensteiner, Professor für quantitative Finanzwissenschaften und designierter Rektor an der Freien Universität, gesprochen, der uns im Interview die Zusammenhänge aufzeigt.

Herr Prof. Weissensteiner, für alle, die nicht so wirtschaftskundig sind: Bitte erklären sie uns in einfachen Worten den Zusammenhang von Inflation, Zinsentwicklung und Geldpolitik der Notenbanken.

Univ. Prof. Alex Weissensteiner: Die Zentralbanken kontrollieren die Geldmenge und beeinflussen die Zinsen, um die Inflation zu steuern. Wenn die Inflation steigt, erhöhen sie normalerweise die Zinsen, um die Wirtschaft zu bremsen und die Preise stabil zu halten. Wenn die Inflation niedrig ist oder die Wirtschaft schwach ist, senken sie die Zinsen, um die Ausgaben zu fördern und die Wirtschaft anzukurbeln. So versuchen sie, das Gleichgewicht zwischen Inflation und Wirtschaftswachstum zu finden.

Der Effekt der vielen Zinserhöhungen ist auch in Südtirol mit einem sinkenden Kreditvolumen sichtbar, begleitet von konjunktureller Abschwächung und Unsicherheit. Ist das nicht schädlich für die Wirtschaftsentwicklung?

Höhere Zinssätze machen Kredite teurer und das Sparen wird attraktiver. Als Folge werden sowohl weniger Investitionen als auch weniger Konsumausgaben getätigt. Die Verringerung der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen reduziert den Preisdruck auf die Produkte und die Inflation sinkt. Eine schwächere Wirtschaftsentwicklung ist somit der Preis der Inflationsbekämpfung.


Die Rekordinflation im Euroraum ist in den letzten Monaten wieder abgeflacht. Worauf ist dies zurückzuführen?

Das Abklingen der Inflation im Euroraum hat neben der restriktiven Geldpolitik mehrere Ursachen: Rückgang der Energiepreise, Lösung von Lieferkettenproblemen nach der Pandemie und weniger angespannte Arbeitsmärkte im Vergleich zu den USA, was den Lohndruck mindert. Langfristige Inflationserwartungen blieben nahe dem Ziel von zwei Prozent, was die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik der Zentralbank unterstreicht.

 

Könnte die Teuerung auch schnell wieder anziehen? Wann wäre das der Fall?

Es gibt derzeit diverse geopolitische Krisenherde, wie u.a. die Kriege in der Ukraine und in Israel. Bei einem Ausweiten dieser Konflikte könnte es wieder zu steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen kommen. Beispielsweise haben Angriffe von jemenitischen Houthi-Rebellen auf Handelsschiffe Reedereien bereits dazu veranlasst, teurere Umwege um Afrika zu wählen. Diese Konflikte sind schwer vorherzusagen.


Die EZB peilt Inflation von zwei Prozent als optimales Niveau für die 20-Länder-Gemeinschaft an. Warum gerade zwei Prozent?

Eine moderate Inflation von etwa zwei Prozent wird von vielen Zentralbanken, so auch der EZB, als optimal angesehen, um Preisstabilität zu gewährleisten. Eine zu niedrige Inflationsrate oder Deflation kann zu einer Abwärtsspirale führen, in der Verbraucher*innen und Unternehmen ihre Ausgaben zurück-halten, in der Hoffnung auf weiter fallende Preise. Dies kann zu einer Negativspirale der wirtschaftlichen Bedingungen führen. Eine Inflationsrate von zwei Prozent bietet eine ausreichende Pufferzone, um Deflationsrisiken zu vermeiden.

Warum liegt die Inflationsrate in Südtirol in der Regel über dem italienischen Durchschnitt?

Die höhere Inflation in Südtirol wird von vielen verschiedenen Faktoren verursacht: Die Kostenstruktur in Südtirol, einschließlich der Löhne und Mieten, unterscheidet sich von derjenigen in anderen Teilen Italiens und beeinflusst die Preise. Die hohen Grund- und Wohnungspreise werden durch die verstärkte Nachfrage bei knappem Angebot in die Höhe getrieben. Die Attraktivität des Territoriums begünstigt einen starken Tourismussektor und die von heimischen Unternehmen hergestellten Produkte sind sehr hochwertig. Die höheren Preissteigerungen sind somit ein Zeichen einer hohen Lebensqualität, einer positiven Wirtschaftsentwicklung und einer starken Kaufkraft.


Welche Auswirkungen und Risiken hat die Zinsentwicklung auf die Finanzmärkte und auf die Sparer*innen?

In den letzten Monaten konnten sich Sparer*innen über höhere Zinsen erfreuen. Nach einer unnatürlichen Nullzinsphase ist derzeit die Realverzinsung (d.h. der Ertrag nach Inflation) wieder positiv, Sparen zahlt sich somit aus. Der befürchtete Einbruch der Aktienmärkte ist ausgeblieben. Im Gegenteil, die Aktienmärkte haben letzthin, in Erwartung der anstehenden Zinssenkungen in Europa und den USA, ihre Höchststände erreicht.

 

Welche Bedeutung hat die Höhe der Leitzinsen für die Fälligkeitsrenditen von Staatsanleihen?

Wenn die Zentralbank die Leitzinsen erhöht, steigen auch die kurzfristigen Zinssätze. Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten reagieren normalerweise schnell auf Veränderungen der Leitzinsen, da sie kurzfristige Zinssätze widerspiegeln. Folglich steigen die Renditen dieser Staatsanleihen, um die höheren kurzfristigen Zinssätze widerzuspiegeln.


In die Zinsentwicklung kommt wieder Bewegung. Die Schweizer Nationalbank hat den Leitzins bereits gesenkt. Steuert auch die Europäische Zentralbank auf mögliche Zinssenkungen zu oder wird sie den harten Kurs weiterfahren?

Sowohl die Inflation als auch die Kerninflation, d.h. die Preissteigerungen ohne Energie und Nahrungsmittel, haben letzthin stark und schneller als erwartet abgenommen. Etwas hartnäckig halten sich derzeit noch Preisanstiege in den Löhnen. Die EZB beobachtet stets die Daten zur Wirtschafts- und Lohnentwicklung und wird dann aktiv. Vieles deutet darauf hin, dass die EZB heuer Zinssenkungen vornimmt.

Worauf sollten Anleger*innen im Hinblick auf die Zinsentwicklung und die aktuelle Marktsituation achten?

Die Marktteilnehmer können erwarten, dass die Zinsen sinken werden, die nächste Nullzinsphase zeichnet sich aber nicht ab. Die Zinsen könnten sich – aus heutiger Sicht – auf einem Niveau von 3,5 % einpendeln.