Ausgabe 4/23 -

Arbeit neu denken

„Weniger Arbeit, mehr Leben“, diese Forderung junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Unternehmen sind gefordert wie nie, Bedingungen zu schaffen, unter denen Menschen gut und gerne arbeiten können.

Arbeit ist ein zentrales Element in unser aller Leben. Bei jedem Smalltalk kommt früher oder später – meist früher – die Frage „Und, was arbeitest du?“. Doch nun erleben wir einen Wandel in unserer Einstellung zur Erwerbsarbeit. Viele junge Menschen sehen nicht ein, wieso sich ihr Berufsalltag im alten „Acht-bis-fünf-im-Büro-Korsett“ abspielen soll. Früher war mit der Erwerbsarbeit immerhin das Versprechen verbunden, dass man es damit irgendwann besser haben wird, zumindest konnte man vom Einkommen leben. Dieses Versprechen gilt heute nicht mehr unbedingt. Immer mehr Menschen kommen trotz Vollzeitarbeit nicht mehr über die Runden. Ein Eigenheim, allein durch Erwerbsarbeit finanziert, ist kaum mehr möglich – da kann man noch so fleißig sein.


Die junge Generation erwartet viel mehr Flexibilität

Kein Wunder, dass sich die junge Generation neu orientiert. Für eine Studie der Arbeitsmarktbeobachtungsstelle des Landes zu Jugend und Berufseinstieg wurden 7.550 Jugendliche befragt. Für 95 Prozent von ihnen ist es wichtig, vor allem Zeit für die (späteren) Kinder zu haben, jeweils 90 Prozent wollen freie Urlaubswahl und die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Über 50 Prozent sind bereit, weniger zu verdienen, wenn sie ihren Lieblingsberuf ausüben können, ein gutes Arbeitsklima herrscht und die Wochenenden frei sind. Was ist aus dem Biss und dem Leistungswillen früherer Generationen geworden?

Walter Niedermair, Statistiker und Mit-Autor der Studie sagt, das habe mit Fleiß nichts zu tun: „Die Jungen sind nicht weniger belastbar oder weniger gut, aber sie sind anders eingestellt. Wenn ihnen die Arbeit gefällt, hängen sie sich rein. Wenn es nicht passt, gehen sie.“ Studien aus ganz Europa belegen, dass den Berufseinsteigern Entlohnung und ein sicherer Arbeitsplatz weniger wichtig sind, dafür zählen eine sinnstiftende Arbeit, ein gutes Arbeitsklima und ein wertschätzendes Umfeld. Sie erwarten sich flexible und kürzere Arbeitszeiten, die Möglichkeit zum Homeoffice, die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf und nicht zuletzt Unternehmenswerte, mit denen sie sich identifizieren können.


Es stimmt also nicht, dass die Jungen keine Lust hätten zu arbeiten. Arbeit ist auch für junge Menschen wichtig, aber sie definieren sich nicht mehr ausschließlich darüber. Und sie wollen nicht so arbeiten, wie es Generationen davor getan haben.


Anspruchsvolle Jugend

Ausgewählte Ergebnisse einer Umfrage zu den Erwartungen an die Arbeit

Quelle: Umfrage „Präferenzen und Erwartungen der Jugendlichen in Hinblick auf Arbeit“ unter 7.550 Jugendlichen, Beobachtungsstelle Arbeitsmarkt Südtirol, 2022

58%

der Befragten ist bereit, weniger zu verdienen, wenn sie dafür im Gegenzug ihren Lieblingsberuf ausüben können. 

85%

geben an, dass sie auf Geld verzichten würden, um in der Nähe ihres Wohnortes oder in ihrer Gemeinde bleiben zu können.

84%

der jungen Menschen fühlen sich von Arbeitgebern angezogen, die auf soziale und ökologische Aspekte achten.


Vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt

Dabei kommt ihnen eine Entwicklung zugute, deren Grundstein schon vor Jahrzehnten gelegt wurde. Die „Babyboomer“ gehen in Pension, auf sie folgen ab den 1970er Jahren geburtenschwächere Jahrgänge. Es verlassen also mehr Menschen den Arbeitsmarkt als neue nachkommen. Zudem herrscht in vielen Branchen ein akuter Fachkräftemangel. „Wir erleben einen Wandel von einem Arbeit- geber- zu einem Arbeitnehmermarkt“, bestätigt Niedermair. Die Zeiten, als Arbeitgeber aus vielen Bewerbern wählen konnten, sind vorbei. „Heute ist es die Bewerberin oder der Bewerber, die/der dem Unternehmen sagt, ‚ich werde von mir hören lassen‘.“ Arbeitgeber müssen um qualifizierte Mitarbeiter*innen kämpfen und nicht umgekehrt. Zudem wird der Rekrutierungswettbewerb von Unter­nehmen globaler. In Südtirol verlassen jährlich rund 1.000 Personen unter 30 Jahren das Land, um im Ausland zu arbeiten, Tendenz steigend. Auswandern tun zur Hälfte Studenten und Akademiker, vor allem jene mit guten Noten.

Herausforderung für Unternehmen und Führungskräfte

Bei der Raiffeisenkasse Überetsch hat man registriert, dass aktive Bewerbungen in den letzten Jahren abgenommen haben. „Doch dank der Banklehre können wir Mitarbeiter selbst ausbilden, diese Ausbildung ist attraktiv, da man bereits mit einem guten Verdienst startet und Theorie mit Praxis verbinden kann“, betont Direktor Edl Huber. „Durch eine interne Rotation kann sich der Mitarbeitende auch entsprechend seiner Interessen weiterentwickeln.“ Darüber hinaus will man potenziellen Bewerbern entgegenkommen, dafür gibt es erweiterte Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit zum Homeoffice, Freizeit- und Weiterbildungsangebote u.v.m. . Auch die althergebrachte Vorstellung von einer Führungskraft als Kontrollinstanz funktioniert in der heutigen Zeit immer weniger. Edl Huber: „Es sind ganz neue Führungsqualitäten erforderlich, vor allem, was soziale Kompetenzen angeht. Eine gute Führungskraft kann zuhören und kommunizieren, kann Verantwortung delegieren und muss vor allem motivieren können. Sie muss einen Rahmen schaffen, damit die Menschen gut und gerne arbeiten.“


Veränderter Arbeitsmarkt und seine Folgen

Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz werden manche Berufe verschwinden lassen, sie werden aber auch helfen, die Arbeitsproduktivität zu steigern, um mit weniger Personal auszukommen. „Südtirol wird sich auf einen veränderten Arbeits- markt einstellen müssen“, sagt Niedermair. Es wird auch immer mehr ausländische Arbeitskräfte brauchen. Mehr Rentner*innen und weniger Arbeitnehmer*innen bedeuten auch eine Veränderung für das Pensionssystem. Das umlagefinanzierte Rentensystem sieht vor, dass die Jüngeren für die Älteren aufkommen. „Wenn eine Generation deutlich weniger arbeitet, gibt es kaum eine Möglichkeit, das auszu­gleichen. Wahrscheinlich wird das Renteneinstiegsalter erhöht werden“, vermutet Niedermair. Es müsse aber auch möglich sein, den Arbeitsausstieg flexibler zu gestalten, beispielsweise mit Altersteilzeit und steuerlichen Begünstigungen.


Fazit: Dem Arbeitsmarkt stehen große Umbrüche bevor. Erfolg wird haben, wer rechtzeitig und konsequent darauf reagiert. Dann werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch weiterhin zur beiderseitigen Zufriedenheit zusammenfinden.

Viele junge Menschen erwarten sich, dass sich der Job an ihr Leben anpasst, und nicht umgekehrt.

„Junge Mitarbeitende wollen Verantwortung übernehmen“

Wenn man die Mitarbeiter gut behandelt, wird man als Arbeitgeber auch dafür belohnt. Davon ist Edl Huber, Direktor der Raiffeisenkasse Überetsch, überzeugt.

Herr Huber, für junge Menschen sind neben Sinnhaftigkeit der Arbeit und der fairen Entlohnung auch die Werte des Unternehmens, für das sie arbeiten, wichtig. Können Sie dies bestätigen?
Edl Huber: Als lokale Genossenschaftsbank fällt es uns nicht schwer, attraktive Werte zu bieten. Wir haben uns dem Wohle der Mitglieder und der Förderung unseres Tätigkeitsgebiets verschrieben, auch in den Bereichen Nachhaltigkeit und Ökologie.

Worauf legt Ihr Mitarbeiterteam Wert?

Mitarbeitende, vor allem die jungen, schätzen klare Prioritäten und ein konsequentes Handeln. Sie wollen entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten in Projektteams eingebunden werden und Verantwortung übernehmen.

 

Die Raiffeisenkasse Überetsch hat schon vor Jahren die Zertifi­zierung „Audit Familie und Beruf” der Provinz Bozen durchlaufen.

Wir haben 2013 als erste Raiffeisenkasse das Zertifikat für ein familienfreundliches Unternehmen erhalten, dabei geht es um Handlungsfelder wie Arbeitszeit und -organisation, Leistungen für Familien und Pflege sowie eine familienfreundliche Personalpolitik. Ein besonderes Anliegen, welches jedoch nicht in unserer Kompetenz liegt, wäre die Anerkennung der Elternzeit als Arbeitszeit, damit diese den Mitarbeitenden bei der Rente angerechnet werden kann.

Welche Vorteile hat das Entgegenkommen für die Mitarbeitenden und für die Bank?

Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Etwa ein Drittel der Mitarbeitenden arbeitet in Teilzeit, sie wissen dieses Entgegenkommen zu schätzen und sind bei Engpässen bereit, ihre Arbeitszeiten den Bedürfnissen der Bank anzupassen. Wir haben flexible Ein- und Austrittszeiten und wir werden demnächst mit der 4,5-Tage-Woche starten. Ich kann mit Stolz sagen, dass es uns stets gelungen ist, die Bedürfnisse der Familie und der Bank in Einklang zu bringen.

 

Wie wichtig ist das lebens-lange Lernen für die Arbeit in der Bank?

Weiterbildung spielt in der Bank eine große Rolle. Im Jahr 2022 haben unsere 93 Mitarbeiter ins- gesamt 4.164 Schulungsstunden absolviert. Erfreulich ist, dass sich die Weiterbildung auch in der Freizeit, beispielsweise durch das Lesen von Fachartikeln und Büchern, fortsetzt.