Der Mehrwert von Genossenschaftsbanken
Südtirol erlebt eine wirtschaftliche Krise wie selten zuvor. Menschen und Betriebe haben durch die Corona-Pandemie hohe finanzielle Einbußen, sind verunsichert, wissen nicht, wie es weitergeht. Genossenschaftsbanken kommt in dieser Situation eine besondere Rolle zu: sie sind besonders nahe am Kunden und ein Anker in unruhigen Zeiten.
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Georg Oberhollenzer, Geschäftsführer der Raiffeisenkasse Bruneck, muss auf die Bilanzen achten, kümmert sich aber auch um die Menschen hinter den Zahlen. „Sanieren statt liquidieren“ lautet sein Credo.
„Wir sind näher dran am Kunden und bleiben länger dran“, sagt er. „Wir schauen hinter die Zahlen und erkennen die Krise früher. Sobald sich die Krise in den Zahlen zeigt, ist es oft schon zu spät. Wir glauben an unsere Unternehmen, auch in schwierigen Zeiten und helfen weiter, so gut wir können“, betont Oberhollenzer.
„Bei einer Aktiengesellschaft geht es um die Dividende der Aktionäre, das ist legitim“, meint Oberhollenzer. „Eine Raiffeisenkasse hingegen dient den Mitgliedern und der örtlichen Gemeinschaft. Wir verwalten nicht nur Spareinlagen und vergeben Kredite, sondern wir bieten finanzielle Bildung und Erziehung zum Sparen, Vorsorge- und Versicherungsleistungen und Beratung in allen Lebensphasen. Kunden und Mitglieder stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit.“
„Dieser Förderauftrag macht eine Raiffeisenkasse zu einer besonderen Bank. Wir bringen damit mehr Wert in das Leben der Menschen im mittleren Pustertal“, ist Oberhollenzer überzeugt. Den genossenschaftlichen Prinzipien, wie Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung, fühlt man sich seit je her verpflichtet. Darüber hinaus werden Werte wie Vertrauen, Verantwortung, Ehrlichkeit, Wertschätzung und Begeisterung gelebt. „Die Wurzel der Raiffeisenkasse Bruneck reicht bis in die 1890er Jahre zurück“, betont Oberhollenzer. „In unserem Eigenkapital finden wir Gulden, Kronen, Reichsmark, Schilling, Lire und Euro. Auf diesen Schatz passen wir gut auf!“
Lokal verankert
In dieselbe Kerbe schlägt auch Herbert Von Leon, Obmann des Raiffeisenverbandes Südtirol und der Raiffeisenkasse Meran. Die Raiffeisenkassen arbeiten zum Wohle der Menschen und der Unternehmen im Einzugsgebiet.“
Im Nachhall der Finanzkrise von 2008 und der Folgen der Corona-Pandemie werden lokale Kreisläufe immer wichtiger. Menschen entwickeln eine neue Wertehaltung und suchen nach authentischen lokalen Anbietern und Partnern, die sie kennen und denen sie vertrauen können. Mitarbeiter, Verwaltungs- und Aufsichtsräte der Raiffeisenkassen kommen aus dem Gebiet, wo sie tätig sind; sie kennen die Ängste und Sorgen der Menschen ganz genau und wissen, was zu tun ist. „Dank der Digitalisierung kann heute jeder irgendwo ein Konto aufmachen. Bei einfachen Leistungen rund ums Konto wird das gut funktionieren. Aber bei anspruchsvolleren Finanz- und Versicherungsleistungen ist die individuelle und ehrliche Beratung und persönliche Bank-Kunden-Beziehung, die oft über Jahrzehnte gewachsen ist, essenziell. Gibt es Schwierigkeiten, steht einem bei einer Online-Bank, die weiß Gott wo sitzt, niemand zur Seite“, gibt Von Leon zu bedenken.
Mitgliedschaft ist etwas Besonderes
Genossenschaftsbanken wie die Raiffeisenkassen gehören ihren Mitgliedern und sind deren Interessen verpflichtet. Raiffeisen-Mitglieder sind Kapitalgeber, Entscheidungsträger und Leistungsnehmer zugleich. Mindestens 50 Prozent der Kredite müssen – so sieht es die Prävalenzklausel im Kreditwesengesetz vor – an Mitglieder vergeben werden. Sie nehmen an der Vollversammlung „ihrer“ Raiffeisenkasse teil, genehmigen die Bilanz, wählen Menschen, denen sie Vertrauen, in den Verwaltungs- und Aufsichtsrat und können sich auch selber wählen lassen. Alle Mitglieder sind gleichberechtigt und haben jeweils nur ein Stimmrecht.
Über 72.000 Mitglieder gehören den 39 Raiffeisenkassen an.
„Wichtig sind den Mitgliedern nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile, sondern auch, dass sie mitgestalten können“, unterstreicht Christina Pupp, Geschäftsführerin der Raiffeisenkasse Wipptal.
„Vor allem wenn Wahlen anstehen, informieren sie sich, wer die Kandidaten sind, bringen selbst Vorschläge ein und kümmern sich, dass ihre Gemeinde und ihre Branche vertreten sind.“ Früher sind einfach jene Kandidaten gewählt worden, die zur Wahl standen.
Bei der jungen Generation findet ein Umdenken statt. In der Vergangenheit sei es nicht immer leicht gewesen, diese für eine Genossenschaft zu begeistern. „Aber wir merken, dass jetzt mehr junge Menschen zu uns kommen, vor allem Jungunternehmer. Sie suchen auch den wirtschaftlichen Vorteil, klar, aber vor allem wollen sie mitbestimmen und sie bringen wirklich gute Ideen ein“, sagt Pupp. Das knallharte Gewinnstreben überzeugt heutzutage viele nicht mehr. „Was zählt, sind das Miteinander-Arbeiten und Füreinander-Dasein; die soziale Ader wird wiederentdeckt“, bringt es Pupp auf den Punkt.
Dem Gemeinwohl verpflichtet
Die Raiffeisenkassen sind aus dem örtlichen Leben nicht mehr wegzudenken: In 112 der 116 Gemeinden sind sie mit eigenem Schalter vertreten und garantieren die finanzielle Nahversorgung, auch in ländlichen Gebieten. Sie sind Arbeitgeber, Ausbildungsstätte für junge Menschen und Steuerzahler. Über das Alltagsgeschäft einer Bank hinaus engagieren sich die Raiffeisenkassen auch gesellschaftlich: Sie fördern durch Sponsoring sportliche und kulturelle Veranstaltungen sowie lokale Vereine und Einrichtungen. Ohne diese finanzielle und ideelle Unterstützung könnten viele Organisationen ihren wertvollen Einsatz für die Gesellschaft gar nicht leisten. Zahlreiche Spenden kommen wohltätigen Einrichtungen und Vereinen zugute. Die Raiffeisenkasse Bruneck, beispielsweise, hat in der Corona-Krise 2020 einen, mit einer halben Million Euro dotierten, Notstandsfonds eingerichtet und damit Beatmungsgeräte und weiteres medizinisches Equipment für das Krankenhaus Bruneck gekauft, außerdem Desinfektionsgeräte für die Feuerwehr und das Weiße Kreuz. „Ich streite heute noch mit unserem Buchhalter, unter welchem Kapitel er die Beatmungsgeräte verbuchen soll“, erzählt Oberhollenzer lachend. Aber das ist eine andere Geschichte.
RAIFFEISENKASSEN – Genossenschaftsbanken sind nicht vom Kapital gesteuert
Herbert Von Leon über den Mehrwert von Genossenschaftsbanken und warum Nachhaltigkeit in der Natur der Raiffeisenkassen liegt. Herbert Von Leon ist Obmann des Raiffeisenverbandes Südtirol und der Raiffeisenkasse Meran.
Herr Von Leon, worin liegt der Mehrwert von Genossenschaftsbanken?
Herbert Von Leon: Eine Genossenschaftsbank ist nicht vom Kapital gesteuert und muss keine Gewinne bzw. Rendite für die Eigentümer erbringen. Ihr statutarischer Auftrag besteht darin, zum Wohle der Menschen und der Unternehmen im Einzugsgebiet zu arbeiten. Sie sammelt Einlagen und gibt diese in Form von Krediten an Betriebe und Privatpersonen weiter. Damit sind die Raiffeisenkassen ein wichtiger Akteur im Wirtschaftskreislauf vor Ort. Sie tragen eine große Verantwortung für Mitglieder, Kunden, Mitarbeiter und für die Region, die weit in die Zukunft reicht.
Was zeichnet die Raiffeisenkassen noch aus?
Die Raiffeisenkassen sind vor Ort, mit Sitz und Filialen. Will heißen: Sie kennen ihre Kunden sehr gut, zum Beispiel ihre Bedürfnisse oder ihre Kreditwürdigkeit, und entscheiden nicht nur aufgrund von Zahlen auf dem Papier. Auch die Mitarbeiter sind lokal verwurzelt und schaffen das nötige Vertrauen bei den Kunden. Die Mitglieder der Raiffeisenkassen wählen ihre Vertreter nach demokratischen Spielregeln in die Verwaltungs- und Aufsichtsräte – auch dies ist ein Garant für Transparenz und Nähe zur Bevölkerung.
Welche Rolle spielen heute noch die genossenschaftlichen Werte und das Thema Nachhaltigkeit?
Das Thema Nachhaltigkeit wird oft nur in Zusammenhang mit Umweltfragen diskutiert. Bei Unternehmen geht es darüber hinaus um die Frage, wie unternehmerischer Erfolg unter der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte erwirtschaftet werden kann. Bei den Raiffeisenkassen spiegelt sich Nachhaltigkeit im genossenschaftlichen Geschäftsmodell wider und ist seit über 130 Jahren gelebte Realität. Die traditionellen Raiffeisen-Werte wie Selbsthilfe, Selbstverantwortung und gesellschaftliche Solidarität haben nichts an Aktualität verloren – im Gegenteil, sie sind wichtiger denn je zuvor.