Ausgabe 05/20 -

Nicht verzagen, sondern Hilfe suchen

Immer mehr Südtiroler befinden sich – nicht zuletzt aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie – in finanziellen Nöten. Warum man sich bei Schuldenproblemen frühzeitig professionelle Hilfe holen sollte, erklärt uns Stefan Plaikner, Leiter der Caritas Schuldnerberatung, im Interview.

Herr Plaikner, nimmt die Not in unserem Lande durch die Corona-Krise zu?

Stefan Plaikner: Die Gefahr besteht sicher, dass in den nächsten Monaten – trotz öffentlicher Corona-Hilfen – mehr Südtiroler und Südtirolerinnen in finanzielle Nöte geraten. Wer schon vor der Krise nur schwer über die Runden gekommen ist, gerät jetzt noch mehr in Bedrängnis. Durch eine Aufhebung des Kündigungs- und Zwangsräumungsschutzes könnten vermehrt Personen ihre Arbeit und Wohnung verlieren. Viel hängt natürlich davon ab, wie sich die wirtschaftliche und sanitäre Situation entwickelt.


Hat die Anzahl der Hilfesuchenden zugenommen?

In den letzten Monaten hat sich der Schwerpunkt der Beratungstätigkeit von juridischen, finanz- und banktechnischen Problematiken in Richtung Existenzsicherung verschoben: Es haben sich zunehmend Personen an die Schuldnerberatung gewandt, deren Einkommen nicht ausreichte, um laufende Lebenshaltungskosten, wie Miete, Strom- und Gasrechnungen, Wohnnebenspesen und Lebensmittel oder Medikamente zu bezahlen. Oft galt es Überbrückungshilfe zu leisten, bis Covid-19-Unterstützungen eintrafen.

Wie hoch sind die Menschen im Durchschnitt verschuldet, die zu Ihnen kommen?

In den letzten Jahren lag die durchschnittliche Verschuldung unserer Klienten bei 53.000 Euro. Im Jahr 2019 betrugen die Gesamtschulden all unserer betreuten Klienten 23. Mio. Euro, wobei knapp 25 % eine Schuldenhöhe zwischen 10.000 und 30.000 Euro aufwiesen.

Warum tappen Menschen in die Schuldenfalle?

Die Verschuldungsursachen sind vielfältig und komplex. In den Anfangsjahren – die Schuldnerberatung wurde 1998 gegründet – waren vor allem der Erwerb eines Eigenheimes, unterzeichnete Bürgschaften und ein unangemessenes Konsumverhalten die Hauptursachen. In den Folgejahren trugen der leichte Zugang zu Krediten und der steigende bargeldlose Zahlungsverkehr zur Überschuldung bei. Heute sind hauptsächlich das fehlende oder zu niedrige Einkommen, Arbeitsverlust, aber auch gescheiterte Selbständigkeit Gründe für Schulden. Auch Krankheit, Unfall, Tod oder Scheidung bzw. Trennung führen oft in die Armutsfalle.

Mit welchen Belastungen gehen Schuldenkrisen einher?

Die Auswirkungen von Schulden sind schwerwiegend. Diese reichen von extremer seelischer Belastung und Stress über Flucht in Alkohol und Spielsucht bis hin zu gesundheitlichen Problemen wie Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen. Überschuldete Personen neigen häufig auch dazu, sich aus Angst und Scham von ihrem sozialen Umfeld abzusondern. Wenn das Geld fehlt, müssen oft Einladungen zu einem gemeinsamen Skiausflug oder einem Pizzaabend ausgeschlagen werde. Eine normale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist oft nicht mehr möglich. Das trifft dann meistens die gesamte Familie, auch und besonders die Kinder.

Wie kann die Schuldnerberatung den Menschen weiterhelfen?

Unser Ziel ist es, so weit als möglich, eine umfassende Lebensberatung zu bieten. Gemeinsam mit den Ratsuchenden analysieren wir die finanzielle Gesamt- und Verschuldungssituation, den Stand der einzelnen Schuldenpositionen, die Verschuldungsursachen sowie die Einnahmen- und Ausgabensituation. Mögliche Regulierungsmaßnahmen sind – je nach Situation – die Ausarbeitung von Tilgungsplänen, Stundungen, Ratenvereinbarungen, außergerichtliche Vergleiche oder Forderungsnachlässe. Zudem bieten wir auch eine Insolvenzberatung an. Weil wir neben juristischen und ökonomischen Aspekten auch stets psychische, familiäre und soziale Zusammenhänge einbeziehen, ist die Zusammenarbeit mit externen spezialisierten Diensten wie beispielsweise dem Sozial­sprengel oder dem Zentrum für psychische Gesundheit sehr wichtig.


Warum ist ein Schuldenproblem immer noch so oft ein Tabuthema?

Überschuldet zu sein, heißt für viele gescheitert zu sein. Schulden lösen immer noch große Schamgefühle und oft auch Schuldgefühle aus. Wer gibt schon gerne vor Bekannten und Freunden zu, Schuldenprobleme zu haben? Wenn man mit unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft nicht mehr mithalten kann, drohen sozialer Rückzug, Ausgrenzung und Einsamkeit.

Sollte finanzielle Bildung auch verstärkt in Schulen thematisiert werden?

Ja, davon bin ich überzeugt. Der verantwortungsvolle Umgang mit Geld und das Thema Geld im Allgemeinen, sollte fester Bestandteil des Unterrichtsstoffes sein. Der beste Schutz vor Geldproblemen ist nach wie vor ein entsprechendes Wissen und kritisches, verantwortungsbewusstes Handeln. Über Geld muss geredet und Finanzwissen gelernt werden – je früher, umso besser! Da besteht sicher noch Handlungsbedarf.


Was leistet die Schuldnerberatung präventiv?

Damit es erst gar nicht zur Überschuldung kommt, haben wir in den letzten Jahren verstärkt auf Sensibilisierung und Präventionsarbeit gesetzt. Dazu bieten wir regelmäßig den „Monetencheck“, eine Art Finanzführerschein, an Berufs- und Oberschulen an, mit dem den Jugendlichen alltagspraktisches Finanzwissen vermittelt wird. Ein weiteres Präventionsangebot ist die Budgetberatung. Damit kann man sich einen besseren Überblick über die eigenen Finanzen verschaffen oder sicherstellen, dass man auch in besonderen Lebenssituationen wie die Geburt eines Kindes, Scheidung, Auszug aus dem Elternhaus u.ä. die Finanzen fest im Griff hat. Auch in Aktionen und Vorträgen informieren wir laufend zum Thema Geld.

Was raten Sie Menschen, denen die Schulden über den Kopf wachsen?

Man sollte den Kopf in keinem Fall in den Sand stecken, sondern die Probleme aktiv angehen und sich frühzeitig professionelle Hilfe holen, wenn man überfordert ist. Denn Schulden lösen sich nicht einfach in Luft auf. Alles ist besser, als Probleme zu verdrängen, nichts zu tun und zu leiden.

 

Unser Motto lautet:

Reagieren statt resignieren!”

CARITAS SCHULDNERBERATUNG

Menschen in finanziellen Nöten aufzufangen, ihre Existenz zu sichern und lebenswerte Perspektiven aufzuzeigen, sind die Ziele der Caritas Schuldnerberatung. Sie wurde 1998 gegründet. Über 20.000 Menschen haben seit der Eröffnung des Dienstes Hilfe und fachlichen Rat erhalten, wobei die Nachfrage ständig gestiegen ist. Die Beratungen können in Bozen, Meran, Brixen und Bruneck in Anspruch genommen werden. Sie sind kostenlos und diskret.

Kontakt Caritas Schuldnerberatung:

 

Bozen, Hauptsitz Caritas
Sparkassenstraße 1
Tel. 0471 304 380
sb@caritas.bz.it

Meran
Galileo-Galilei-Straße 84
Tel. 0473 495 630
sbmeran@caritas.bz.it

 

Brixen
Bahnhofstraße 27/A
Tel. 0472 205 927
sbbrixen@caritas.bz.it

Bruneck
Paul-von-Sternbachstraße 4
Tel. 0474 413 977
sbbruneck@caritas.bz.it

 

Infos unter:

www.caritas.bz.it