Ausgabe 05/16 -

„Die Südtiroler Wirtschaft steht derzeit gut da.“

Wie entwickelt sich die Südtiroler Wirtschaft? Wo liegen die Stärken unserer Region, wo schwächelt sie? Eine Standortbestimmung mit Georg Lun, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO) der Handelskammer Bozen.

Herr Lun, Sie sind seit 2012 Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) der Handelskammer Bozen. Welche Aufgaben hat das Institut und wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Georg Lun: Wir beobachten die Konjunkturentwicklung, befragen dazu regelmäßig Unternehmen und Konsumenten und erarbeiten Daten zur Wirtschaft – auf Südtirol bezogen, national und weltweit. Außerdem analysieren wir ­ökonomische Fragestellungen und Entwicklungen, liefern Handlungsvorschläge für die politischen Entscheidungsträger und halten Vorträge. Wir erstellen Analysen und Studien zu den wichtigsten Wirtschaftsbereichen; auch die enge Zusammenarbeit mit den Südtiroler Schulen ist uns wichtig.

Nun, wie geht es der Südtiroler Wirtschaft?
Georg Lun: Die Südtiroler Wirtschaft steht derzeit gut da. Sowohl die Ertragserwartungen der Unternehmer als auch das Konsumklima der Südtiroler Haushalte sind vergleichsweise positiv. Und das, obwohl das gesamtstaatliche und inter­nationale Umfeld sehr unsicher ist und eine Fülle von wirtschaftlichen Risiken birgt. Die gute Stimmung und das Vertrauen auf eine positive Entwicklung sind auch daran erkennbar, dass nach einer seit 2008 anhaltenden Krise die Baukonjunktur wieder angesprungen ist.

Was sind die Wachstumstreiber in Südtirol?
Georg Lun: Besonders positiv entwickelt sich die Exportwirtschaft. Bereits in den wirtschaftlich schwierigen Jahren 2013 und 2014 ist sie gewachsen, und auch für die nächste Zeit ist ein Exportwachstum realistisch. Ein weiterer Treiber ist der Tourismus. Die Südtiroler Tourismusbetriebe sind sehr gut aufgestellt, haben konstant investiert und ihr Angebot verbessert. Dies trägt wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors bei. Schließlich gibt es in Südtirol eine Reihe von „Hidden Champions“, die besonders im High-Tech-Bereich arbeiten. Auch diese Unternehmen haben sich im letzten Jahrzehnt erstaunlich wacker geschlagen.

Sie haben sich im Laufe Ihrer beruflichen Karriere intensiv mit der Struktur unserer Wirtschaft auseinandergesetzt…
Georg Lun: Die Südtiroler Wirtschaft ist sehr klein strukturiert und weist einen sehr breiten Sektorenmix auf. Damit sind die Stärken, aber auch die Schwächen der Südtiroler Wirtschaft bereits benannt. Wir leiden nicht so stark, wenn ein Sektor in eine Krise kommt, weil wir eben nicht nur auf ein Pferd setzen. Auf der anderen Seite sind wir in Sektoren mit vergleichsweise geringer Produktivität aktiv; das stellt unsere Wettbewerbsfähigkeit ständig auf die Probe. Nicht von ungefähr legt die Landesregierung deshalb bei den Fördermaßnahmen einen starken Fokus auf Forschung und Innovation.

Georg Lun: „Die Ertrags­erwartungen der Unternehmer und das Konsumklima der privaten
Haushalte sind derzeit positiv.“

Georg Lun – Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO) der Handelskammer Bozen

Welche sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselfaktoren für die Zukunft?
Georg Lun: Der Strukturwandel mit der immer stärkeren Digitalisierung und der zunehmenden Bedeutung von Wissen ist in allen Branchen zu spüren. Er verlangt es, dass alle Wirtschafts­ak­teure, ob Unternehmer oder Mitarbeiter, aber auch die öffentliche Hand, sich an die ­wandelnden Rahmenbedingungen anpassen. Ein wesentlicher Schlüssel für den zukünftigen Erfolg ist sicherlich ein flexibles und effizientes Bildungs­wesen, das die Jugend auf die ver­änderten Arbeitsbedingungen vorbereitet.

Inwieweit beeinflussen die Probleme Italiens wie geringes Wirtschaftswachstum, hohe Staatsverschuldung usw. die Südtiroler Wirtschaft?
Georg Lun: Italien steckt nun schon seit ca. 15 Jahren in einer tiefen strukturellen Krise. Davon bleibt auch Südtirol nicht unberührt. Man konnte das beispielsweise deutlich am Rückgang der Nächtigungen von italienischen Urlaubern ablesen. Besonders augenscheinlich aber wird die wirtschaftliche Abhängigkeit Südtirols beim Kreditmarkt. Dort zählt auch für die Südtiroler Kunden das italienische Länderrisiko, was dazu führt, dass die Kreditkosten höher als anderswo sind und der Zugang zum Kredit insgesamt erschwert ist.

Stichwort Bankenkrise – muss der Staat Italien das marode italienische Bankenwesen retten?
Wie ist Ihre Einschätzung betreffend Südtirol?

Georg Lun: Das italienische Bankwesen ist in Schwierigkeiten, weil die italienische Wirtschaft seit Jahren kein Wachstum mehr verzeichnet hat und viele Unternehmen mit wirtschaftlichen Problemen kämpfen. Dadurch unterscheidet sich die Bankenkrise in Italien von jener in anderen Ländern, wo sich Banken teilweise verspekuliert haben bzw. sehr riskante Geschäfte eingegangen sind. Im Ergebnis ändert das aber leider wenig, es gibt einen Berg von notleidenden Krediten, die bedient werden müssen. Staatliche Eingriffe erlaubt das EURO-System nur in sehr eingeschränktem Maße. So ist das Bankensystem gezwungen, die Lasten auf alle Banken aufzuteilen. Da kommen auch die im Vergleich kleinen Südtiroler Kreditinstitute zum Zug, auch sie müssen sich solidarisch an den Rettungsaktionen beteiligen. Dank der guten Wirtschaftslage in Südtirol sollten die einheimischen Banken in der Lage sein, die Kreditausfallrisiken in ihren Bilanzen in Grenzen zu halten. Wenn die gute Konjunkturlage in Südtirol weiter anhält, dann stehen unsere Banken sicherlich nicht schlecht da.


Was bräuchte es für ein stärkeres Wirtschaftswachstum?
Georg Lun: Analysen und Vorschläge für wirtschaftliche Reformen gibt es zuhauf. Viele sinnvolle Vorschläge liegen auf dem Tisch und sind auch allen Akteuren bekannt, gleich ob es zum Beispiel um Bürokratieabbau, die Beschleunigung von Gerichtsverfahren, Liberalisierungsmaß­nahmen oder um strategische Infrastrukturprojekte geht. Auch der Abbau der hohen Steuer- und Sozial­abgabenlast wird von fast allen befür­wortet. Der Teufel liegt aber wie so oft in der Umsetzung. Die öffentliche Hand schafft es nur schwer, Vorschläge in konkrete Maßnahmen umzuwandeln. Dies gilt auch für Südtirol, wenngleich in weit geringerem Maße als auf gesamtstaatlicher Ebene.

Zur Person – Georg Lun

Der gebürtige Meraner Georg Lun absolvierte sein Diplom- und Doktorats-Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck. Zwischen 2003 und 2005 war er am Institut für Alpine Umwelt der Europäischen Akademie in Bozen tätig. Von 2005 bis 2012 galt sein beruflicher Schwerpunkt der Wirtschaftsforschung im Amt für Studien der Handels-, Industrie-, Handwerks- und Landwirtschaftskammer Bozen. Im Februar 2012 wurde er zum Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) der Handelskammer Bozen ernannt.

 


Forschungsinitiative Dr. Oswald Lechner

In Gedenken an den 2012 verstorbenen, langjährigen Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes der Handelskammer Bozen, Oswald Lechner, hat die Handelskammer 2013 die „Forschungsinitiative Dr. Oswald Lechner“ ins Leben gerufen.

Sie ermöglicht damit drei wissenschaftlichen Nachwuchskräften die Promotion an den Universitäten Innsbruck, Trient und Bozen. Außerdem wird der Wissenstransfer zwischen Universitäten und WIFO gestärkt.