Ausgabe 06/17 -

„Das Wunder von Weihnachten ereignet sich immer wieder“

Die größte Geschichte von Hoffnung und Rettung, die uns Menschen geschenkt wurde, ist die Weihnachtsgeschichte, sagt Don Paolo Renner. Denn die Geburt Jesu ist die
Liebesbotschaft Gottes an unsere verrückte Welt.

Verehrter Don Renner, zu Weihnachten kommen viele Menschen in die Kirche, die sie das Jahr über nur von außen sehen. Freut Sie das oder ist das beunruhigend?
Paolo Renner: Ich freue mich darüber, und das in zweifacher Hinsicht: zum einen, weil ich ­Menschen wiedersehe, die sonst oft sehr beschäftigt sind, und zum anderen, weil es bei diesem Fest ausdrücklich um die Geburt Jesu geht. Das gemeinschaftliche Feiern der Weihnachtsliturgie ist Ausdruck einer tiefen und treuen Liebe zu Jesus Christus.

Ist Weihnachten zu einem Konsumfest verkommen?
Paolo Renner: Das Weihnachtsfest ist auch ein weltliches Fest geworden, mit Geschenken, Geschäftemacherei und Christkindlmärkten, die man besser „Weihnachtsmärkte“ nennen sollte. Viele Menschen suchen in dieser Zeit aber das Religiöse und pflegen die eigene Spiritualität in besonderer Weise. In vielen Kirchen des ­Landes werden im Advent werktags, sehr früh am Morgen, die Roratemessen gefeiert. Da kommen viele. Da spürt man schon etwas von der Sehnsucht nach dem Kommen des Herrn, nach einer echten Weihnacht.

Erscheint die Weihnachtsbotschaft „Friede auf Erden“ heute, angesichts der weltweiten Kriege, des Terrors und des Leidens in der Welt, nicht völlig unpassend?
Paolo Renner: Gerade unsere gespannte und gewaltsame Zeit dürstet nach einer Friedensbotschaft. Die Menschen sehnen sich nach Frieden, Freundschaft und Nähe. Die Geburt Jesu Christi ist die Liebesbotschaft Gottes an unsere verrückte Welt. Und eine große Hoffnung, im Sinne: Gott ist durch diesen Jesus ganz nahe bei uns, besonders in dunklen Zeiten. Insofern ist Weihnachten eine trostreiche Nacht. Das Wunder von Weihnachten ereignet sich immer wieder, wo Menschen eine Atmosphäre der Empfänglichkeit schaffen und sich menschlich begegnen, auch unterm Jahr. Wie man in der Bibel nachlesen kann, liebt Gott aber nicht nur jene, die guten Willen zeigen, sondern vor allem die „schwarzen und verlorenen Schafe“. Auch das gibt Hoffnung.

 

Don Paolo Renner:

„Gerade unsere gespannte und gewaltsame Zeit dürstet nach einer Friedensbotschaft.“

Paolo Renner setzt sich für den interreligiösen Dialog ein,
der das Kennenlernen und den Austausch verschiedener Religionen fördert.
Don Paolo Renner

Warum tun wir Menschen uns mit den ­christlichen Tugenden wie der Nächstenliebe so schwer?
Paolo Renner: Wir Christen verehren den drei­­einigen Gott: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Heutzutage wird die Welt vielfach von einer anderen Dreiheit regiert: Geld, Gier und Geiz, wie mein Freund Sepp Kusstatscher oft ­betont. Das sind die drei Feinde, die alle Welt­religionen zu bekämpfen versuchen. Die Kultur des „No limits“ fördert eine maßlose Konsummentalität. Das wird uns langsam zum Verhängnis, weil das Mensch­liche in den Hintergrund rückt.


Viele Menschen haben, angesichts der ­zunehmenden Flüchtlingsströme, immer mehr Angst vor Überfremdung und dem Islam. Was sagen Sie denen?
Paolo Renner: Wir müssen aufhören, uns über Gegensätze zu definieren, über „Wir gegen die anderen“. Diese innere Abgrenzung macht Angst, sie schürt Furcht und Aggression. Auf meinen Reisen habe ich beobachtet, dass wir Menschen uns näher stehen, als wir vermuten – ­unabhängig davon, woher wir kommen und in welchen unterschiedlichen Kulturen und Religionen wir aufgewachsen sind. Wir sollten Unterschiede wertschätzen, den anderen annehmen und miteinander in Dialog treten. Dazu muss man nicht unbedingt ein Christ sein, man braucht nur ein Mensch zu sein. Das Menschsein verbindet uns.

Wie würden Sie einem Moslem Weihnachten erklären?
Paolo Renner: Ich würde ihn darauf hinweisen, dass Weihnachten auch im Islam bekannt ist. Im Koran, in der Sure vier, wird die Geburt Jesus beschrieben, wenn auch mit geringfügigen Unterschieden zur Bibel. Jesus, arabisch Isa genannt, ist im Islam ein großer Prophet, dem wunderbare Taten zugeschrieben werden, aber er ist nicht der Sohn Gottes. Im Islam hat Gott keine Söhne, sondern es gibt nur den alleinigen Gott. Weihnachten und die Weihnachtssymbole sind für uns Christen Ausdruck unseres Glaubens. Ich muss als Christ nicht auf meine Religion und Bräuche verzichten, nur weil Andersgläubige bei uns leben. Ich zwinge aber auch niemanden unseren Glauben auf.

Bischof Ivo Muser mahnt Gläubige immer wieder zu politischem Engagement. Hat die Kirche die Kraft, gesellschaftliche Debatten ­anzustoßen, und soll sie das überhaupt?
Paolo Renner: Gerade weil wir an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus glauben, muss die Kirche die Kraft haben, um für die Würde des Menschen und ein friedliches und solidarisches Miteinander einzutreten. Die Christen sollen sich einmischen und involvieren lassen. Dabei soll die Kirche vor allem auf der Seite der Schwächeren, der Ausgebeuteten, der Armen stehen, mit Worten und mit Taten. Eine Forderung, auf die auch Papst Franziskus oft und gern hinweist. Leider wird Kirche oft einzig mit der Institution und der Kirchenlehre gleichgesetzt, die Kirche ist aber viel mehr: sie ist die Gemeinschaft der Gläubigen, das Volk Gottes. Wir alle sind gefordert.

 

Don Paolo Renner:

„Wir Christen sind gefordert, für ein friedliches und solidarisches Miteinander einzutreten.“

Wie verbringen Sie den Heiligen Abend?
Paolo Renner: Für uns Priester ist Weihnachten Hochsaison (lacht). Ich „fliege“ von einer Messe zur anderen, aber ich freue mich über diesen positiven Stress. Ich halte die Christmette in St. Peter oberhalb von Gratsch, zu der viele Menschen kommen. Gemeinsam feiern wir in wunderbarer Atmosphäre die Heilige Nacht. Anschließend feiere ich noch in meiner Basisgemeinde vom Cenacolo in Meran und dann mit den Familien meiner Schwestern und ihren Kindern, was ich auch sehr genieße.

Was sind Ihre Wünsche für das Jahr 2018?
Paolo Renner: 2018 jährt sich zum 70. Mal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Ich wünsche mir, dass das ganze Jahr darüber berichtet wird, vor allem über die damit verbundenen Pflichten. Ich feiere nächstes Jahr meinen 60. Geburtstag. ­Krawatten, Bücher und anderen Krimskrams habe ich schon genug. Aber ich wünsche mir, dass die Zeichen der Solidarität, Liebe und Zuwendung, sprich Men­sch-
lichkeit, in unserer Gesellschaft zu­nehmen – also nur „solidarische Geschenke“. Wenn mich ­jemand glücklich machen will, dann soll er andere ­Menschen glücklich machen.

Zur Person

Don Paolo Renner, 1958 in Meran geboren, studierte ­zunächst Agrarwissenschaften, danach Theologie an der Gregoriana in Rom. 1985 wurde er zum Priester geweiht. Seit 1988 ist er Professor an der Philosophisch-­­Theo­lo­gischen Hochschule Brixen für Fundamentaltheologie, Religionswissenschaften und Theologie der Religionen, seit 1994 Direktor des “Istituto di Scienze Religiose” in Bozen, seit 2009 Direktor des ökumenischen und ­interreligiösen Institutes für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung „DE PACE FIDEI“, seit 2014 Prodekan. 2016 wurde Don Paolo Renner mit dem Ehrenzeichen des ­Landes Tirol ausgezeichnet.