Weibliches Unternehmertum: „Greif nach den Sternen!“
Das Unternehmertum wird weiblicher, aber es gilt noch viel zu tun – sagt Marina Rubatscher Crazzolara, Vorsitzende des Beirates zur Förderung des weiblichen Unternehmertums. Im Interview erzählt sie uns, wie wichtig das Aufbrechen tradierter Rollenbilder ist und warum sich Frauen ruhig mehr zutrauen sollten.
Frau Rubatscher Crazzolara, welche Ziele verfolgt der Beirat zur Förderung des weiblichen Unternehmertums?
Marina Rubatscher Crazzolara: Der Beirat zur Förderung des weiblichen Unternehmertums ist ein interner Beirat der Handelskammer Bozen mit Beratungs- und Vorschlagsfunktionen. Seine Initiativen haben das Ziel, die Position von Frauen in der Wirtschaft zu stärken, Unternehmerinnen und Frauen in Führungspositionen zu fördern und die Gründung von Unternehmen durch Frauen zu forcieren.
Sie sind seit Oktober 2018 Vorsitzende des Beirates. Welche Projekte konnten Sie seitdem erfolgreich umsetzen?
Als Beirat konnten wir wichtige Initiativen fortsetzen und neue Projekte starten. Besonders stolz bin ich auf unsere Finanzbroschüre, die wir gemeinsam mit Pensplan und Euregio Plus erarbeitet haben und die praxisrelevantes Finanzwissen enthält. Damit sollen Frauen eine gute Basis für finanzielle Entscheidungen und Gespräche, zum Beispiel mit Banken, erhalten, denn im Alltag zeigt sich immer noch, dass Männer mehrheitlich finanzielle Angelegenheiten erledigen, während Frauen sich mehr operativ einbringen.
Als Erfolg würde ich auch das Modell der Co-Managerin bezeichnen, welches eine große Erleichterung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellen wird. Unter der Voraussetzung bestimmter Kriterien wird Unternehmerinnen, Selbstständigen und Freiberuflerinnen mit weniger als 10 Mitarbeiter*innen eine Förderung gewährt. Diese bietet den Frauen die Möglichkeit, sich in Zeiten, in denen eine Unterbrechung der Tätigkeit aus Gründen der Schwangerschaft, der Mutterschaft oder der Kindererziehung erforderlich ist, zeitweilig von einer erfahrenen Person in der Unternehmensführung vertreten zu lassen.
Welches Thema ist Ihnen besonders wichtig?
Ein wichtiges Anliegen ist mir das Aufbrechen tradierter Rollenbilder und alter Denkmuster. Leider ist es immer noch so, dass Mädchen und Jungen sehr stark geschlechtstypisch erzogen werden. Vor allem, wenn es um die Berufswahl der eigenen Kinder geht, kann es vorkommen, dass Entscheidungen aufgrund negativer Denkmuster beeinflusst werden, welche die Kinder daran hindern, ihre eigenen Fähigkeiten und Talente auszubauen. Wir gehen deshalb ganz gezielt in Oberschulen, um in Workshops und Vorträgen zu vermitteln, dass eine berufliche Selbstständigkeit auch eine Alternative für die Zukunft ist und dass eine bewusste Berufsentscheidung fernab von typischen Gender-Stereotypen die Basis für eine glückliche Zukunft darstellt. Wir setzen da auch schon im Kindergarten an. So haben wir für die Kleinen ein dreisprachiges Wimmelbilderbuch mit dem Titel: „Wenn wir groß sind, möchten wir glücklich sein“ erstellt. Es zeigt zum Beispiel Mädchen, die davon träumen, mathematik- und technikorientierten Berufen nachzugehen. Im Oktober 2021 haben wir eine Veranstaltung für Erwachsene mit dem Motto „Greif nach den Sternen!“ organisiert. Zu Gast war die erste deutsche Astronautin Suzanna Randall, die aus ihrem Leben berichtet hat.
Nur jedes fünfte Südtiroler Unternehmen ist in Frauenhand. Wird die Wirtschaft weiblicher?
Die Wirtschaft war immer schon weiblich. Man denke an die vielen Frauen, die in den Familienbetrieben enorm viel gearbeitet und geleistet haben und oft auch großartige Pionierinnen und Ideengeberinnen waren, beispielsweise im Tourismus. Wenn wir an die Anzahl der weiblich geführten Unternehmen in Südtirol denken, dann steigt die Zahl nur leicht, aber beständig. Im Jahr 2022 sind im Vergleich zum Vorjahr 177 Betriebe dazugekommen. Das entspricht einem Zuwachs von 1,6 Prozent. Wir haben in den verschiedensten Bereichen bestens ausgebildete Frauen. Diese Frauen sollen ihr Potenzial ausschöpfen können und darin bestärkt werden, an der Spitze eines Betriebes zu stehen oder den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Da gibt es noch viel zu tun.
Wie werden angehende Unternehmerinnen konkret unterstützt?
Wir haben ein Mentoring-Programm für Jungunternehmerinnen eingerichtet, das dem Motto „Von Profis lernen“ folgt. Bei diesem geben Unternehmerinnen mit langjähriger Erfahrung Unternehmensgründerinnen wichtige Tipps und Hinweise in Bezug auf die verschiedenen Bereiche der Unternehmensführung. 20 erfahrene Unternehmerinnen wurden in Zusammenarbeit mit dem Beirat zur Förderung des weiblichen Unternehmertums und den Verbänden als Mentorinnen geschult. Jungunternehmerinnen, die sich an eine Mentorin wenden möchten, können ihr Interesse auf unserer Internetseite bekunden und werden von uns dann weitervermittelt.
Wo sehen Sie sonst noch Handlungsbedarf?
Mir geht es darum, Frauen in ihrer Rolle als Unternehmerinnen noch mehr Sichtbarkeit zu verleihen und ihre Wertschätzung zu erhöhen. Dazu ist es notwendig, auch die Männer für das Thema zu sensibilisieren und ins Boot zu holen. Wichtig ist ja auch, dass der Partner/Ehemann die Selbstständigkeit seiner Frau schätzt und tatkräftig unterstützt. Es geht nicht darum, Kritik zu üben, sondern Männer an diesem Prozess stärker teilhaben zu lassen, damit sie ein besseres Gespür und Verständnis für die Belange der Frauen entwickeln. Auch in Gremien und Organisationen plädiere ich für gemischte Arbeitsgruppen, weil sowohl Frauen als auch Männer im Austausch von den unterschiedlichen Herangehensweisen und Perspektiven profitieren.
Was sind Ihrer Meinung nach die positiven Seiten der weiblichen Selbstständigkeit?
Da gibt es eine ganze Menge (lacht): Kreativität und Fähigkeiten ausleben, selber Entscheidungen treffen, souverän über die Zeit verfügen und vor allem die eigenen Träume verwirklichen! Kurzum – es ist toll, seine eigene Chefin zu sein! Dies entspricht auch dem Zeitgeist, sich zu entfalten, etwas Eigenes zu schaffen und Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Deshalb sollten sich Frauen ruhig mehr zutrauen und auch den Sprung ins kalte Wasser wagen. Frauen haben vielfach einen ausgeprägten Hang zum Perfektionismus und sagen sich: Wenn ich es nicht perfekt machen kann, dann lasse ich es lieber bleiben. Damit verpasst eine Frau leider auch viele Chancen. Männer gehen die Dinge oft viel pragmatischer und selbstbewusster an, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.