Vom Loslassen und Anpacken
In jedem Betrieb mit Zukunft steht früher oder später der Generationenwechsel an. Die Übergabe an den Nachfolger oder die Nachfolgerin ist eine große Herausforderung, sie kann aber auch eine Chance sein.
Dass eine Betriebsübergabe der Schritt in eine gesicherte Zukunft sein kann, zeigt sich am Stocknerhof in Terenten. 2016 hat Vater Hubert Engl, 69, an Sohn Matthias übergeben, es war eine lang geplante und gut organisierte Übergabe, die dem Hof einen Innovationsschub beschert hat. Denn Bauer Matthias Engl, 37, wusste schon als Kind: „Bauer ist mein Traumberuf!“
Er besuchte die Oberschule für Landwirtschaft in Auer und stieg nach der Matura in die Arbeit am Hof ein. Nach vielen Jahren der Mitarbeit fragte ihn Vater Hubert 2014, ob er den Hof übernehmen möchte. „Damals war es mir noch zu früh“, erzählt Matthias, „ich sah mich nicht in der Lage, so viel Verantwortung zu übernehmen.“ Aber das Angebot arbeitete innerlich in ihm weiter, sodass er zwei Jahre später zum Vater sagte: „Wenn du den Hof übergeben willst, bin ich bereit.“ Der Vater wollte, und so nahm alles seinen geregelten Lauf.
Viele Südtiroler Betriebe stehen vor der Übergabe
Das ist leider nicht immer so. In 6.000 bis 7.000 Südtiroler Unter- nehmen steht die Übergabe an, melden Handelskammer und Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, das Thema betrifft bis zu einem Fünftel aller Unternehmen. Wird die Übergabe zu spät angegangen, kann das leicht zu Konflikten führen und es besteht die Gefahr, dass Know-how und Arbeitsplätze verloren gehen.
In Südtirol mit seinen vielen Familienunternehmen ist die Situation noch einmal besonders: denn hier kommen Familie und Unternehmen zusammen. Eltern und Kinder sind Familienmitglieder, Mitarbeitende, Gesellschafter*innen, Partner, Unternehmerinnen und Unternehmer. Jede Situation ist anders“, sagt Firmenkundenberater Alexander Töll (siehe Interview am Ende dieses Artikels), „aber ein Rat gilt immer: Rechtzeitig mit der Übergabe beginnen! Nur so kann der Führungswechsel für alle Beteiligten reibungslos verlaufen.“
Neue Wege beschreiten
Am Stocknerhof hat sich die Übergabe über Jahre angebahnt und bis heute arbeiten beide Generationen gemeinsam. „Wir haben schon zuvor viel gemeinsam entschieden, und ich schließe auch jetzt niemanden aus“, sagt Matthias Engl. „Wir leben alle am Hof und alle denken mit.“ Dabei warf der Sohn das Betriebskonzept ordentlich über den Haufen. Schon 2016, im Jahr der Betriebsübernahme, investierte er in einen Melkroboter. Bis dahin waren die beiden einmal morgens und einmal abends in den Stall gegangen, der Vater hatte die Kühe gemolken, der Sohn kümmerte sich um das Füttern und Ausmisten. Das übliche Prozedere. Mit dem Melkroboter fiel plötzlich der Arbeitsgang des Vaters weg: „Das war ungewohnt, man muss sich neu finden“, sagt er. Aber es klappte.
Technische Innovation ist Zukunft
Matthias’ Innovationsgeist fiel auf fruchtbaren Boden, denn die Basis dafür hatte Vater Hubert schon im fernen Jahre 1988 gelegt. Er baute einen Laufstall, damals eine Pionierleistung, heute Standard. Damals setzte er sich gegen Widerstände durch, heute macht es den Melkroboter erst möglich. Die 45 Stück Braunvieh können damit selbst entscheiden, wann sie fressen wollen, ob sie im Stall liegen oder eine Runde im Hof drehen, oder eben, ob sie gemolken werden möchten.
Im Jahr 2017 kam ein Futter-Anschiebeautomat dazu, der alle zwei Stunden den Kühen das Heu vor die Nase schiebt, und jede Stunde macht der Mistschieber seine Runden, der die Laufflächen zum Wohl der Tiere sauber hält. Neben der Stalltechnik hat Engl auch Interesse an erneuerbarer Energie. Er ist Vizeobmann und Anlagenwärter der lokalen Biogasanlage
und hat schon 2008 eine erste Photovoltaikanlage am Hof angebracht, diese Anfang 2022 auf insgesamt 600 Quadratmeter und 120 Kilowatt erweitert und möchte weiter ausbauen.
Das alles geht natürlich nicht ohne ein Faible für Technik, das bei Matthias Engl geweckt wurde, als ihm als Kind am Hof der erste Traktor über den Weg fuhr. „Die Maschinen machen Arbeitsabläufe flexibler und weniger zeitgebunden“, sagt er, „aber man muss viel beobachten, schnell reagieren, die Daten richtig interpretieren. Wenn die Maschine steht, muss ich wissen, was zu tun ist.“ Technische Innovation sei die Zukunft, sagt Matthias Engl. „Sie bedeutet Zeitersparnis, mehr Lebensqualität und weniger Abhängigkeit vom Arbeitskräftemangel.“ Und auch wenn man gern das romantische Bild des Bauernhofes vor Augen hat, ist Landwirtschaft letztendlich Wirtschaft. „Wenn die Zahlen nicht stimmen, nützt alles nichts“, unterstreicht Engl.
Gut überlegen, sich beraten lassen
Bei der Übergabe wurde die Familie Engl vom Bauernbund und von der Raiffeisenkasse Vintl beraten. Matthias, der mehr Interesse an der Landwirtschaft hat, bekam den Hof, der jüngere Bruder ein Haus in der Nachbarschaft mit Ferienwohnungen. „Ich habe darauf geachtet, dass die Investition stemmbar bleibt“, sagt Matthias Engl. „Nie übers Ziel hinausschießen, vorsichtig bleiben, gut überlegen, was man tut, nicht drauflos investieren!“
Hubert Engl schaut zufrieden auf den Hof und wie sein Sohn dessen Geschicke leitet.
Er sieht, dass es gut läuft und der Bub alles im Griff hat und meint: „Es gab schon ein paar Reibereien, aber nichts Schlimmes.“ „Als junger Bursche willst du halt alles besser wissen“, sagt Matthias und grinst. Aber diesen Willen, etwas zu verändern, braucht es schon.
Bei unserer Runde im Stall hat uns Matthias’ Sohn Maximilian (10) begleitet und gezeigt, wie gut er sich hier auskennt. Irgendwann wird vielleicht er oder eine der beiden Töchter den Hof übernehmen. Das Rad des Loslassens und Anpackens wird sich am Stocknerhof wohl auch mit der nächsten Generation weiterdrehen.
Betriebsübergabe: „Bewusst Entscheidungen treffen, auch wenn es schwerfällt“
Alexander Töll kennt die vielen Fragen, die sich bei der Betriebsübergabe stellen und hat einen einfachen Tipp für einen gelingenden Generationenwechsel.
Herr Töll, was ist bei einer Betriebsübergabe besonders zu beachten?
Am wichtigsten ist es, rechtzeitig damit zu beginnen. Bereits fünf bis sieben Jahre vor der Betriebsübergabe sollte man anfangen, sich damit zu beschäftigen. Der Übergang sollte ja möglichst reibungslos für alle Beteiligten verlaufen.
Welche wichtigen Fragen gilt es zu beantworten?
Dazu zähle ich die Auswahl des Nachfolgers bzw. der Nachfolgerin und die Erbschaftsregelung mit den weichenden Erben. Dazu kommen weitere Belange, die geklärt werden müssen, zum Beispiel die steuerlichen Folgen, die Rechtsform u.a.m. Der Zeitpunkt ist geeignet, um sich über die Zukunft des Betriebes, wie beispielsweise neue Produkte oder notwendige Investitionen, Gedanken zu machen. Was bisher gut funktioniert hat, muss ja nicht zwangsläufig auch für die Zukunft richtig sein.
Wo besteht der größte Beratungsbedarf?
Nachdem die Finanzen in der Vergangenheit meist in der alleinigen Hand des Vorgängers waren, muss der neue Inhaber oder die neue Inhaberin erst mal über den aktuellen finanziellen Stand des Betriebes informiert werden, über die Liquidität, die Geldflüsse, eventuelle Kredite u.a.m. Außerdem geht es oft auch um eine Finanzierung der Übernahme.
Wobei kann die Raiffeisenkasse helfen?
Wir kümmern uns in erster Linie um die Finanzierung, die Liquiditätsplanung und die richtige Absicherung. Für die Bewertung des Unternehmens, Steuer- und Rechtsfragen gibt es eigene Experten, die wir bei Bedarf in Beratungsgespräche einbinden können. Ich wurde schon mal von einem Vater gefragt, welchem Sohn er den Betrieb übergeben soll. Dies konnte ich natürlich nicht beantworten.
Welche Probleme können auftreten?
Manchmal will der Junior alles anders machen, was den Senior natürlich nicht begeistert. Auch bezüglich der Erbschaftsregelung gibt es manchmal Streit, das größte Problem sind aber leider meist Konflikte in der Familie.
Wie lautet Ihr Tipp für eine erfolgreiche Betriebsübergabe?
Bewusst Entscheidungen treffen, auch wenn es schwerfällt. Die Dinge so dahinplätschern zu lassen, hat sich noch nie ausgezahlt.