Ausgabe 06/17 -

Vom Flüchtling zum Nachbarn und Mitbürger

Immer mehr Menschen flüchten vor Krieg und Elend und erhoffen sich ein besseres Leben in Europa. Sie stranden an Italiens Küsten, und der Staat ist mit der Masse an Flüchtlingen überfordert. Ohne den Einsatz der Zivilgesellschaft ist der Ansturm Hilfesuchender kaum zu schaffen. Ein Beispiel, wie eine Solidargemeinschaft helfen kann, zeigt sich seit kurzem in Meran. Dort verbinden sich Hilfsbereitschaft und Unternehmergeist, zum Wohl der Flüchtlinge und Einheimischen.

Kelly Asemota und Evangelist Stephen Ovbiebu stehen im neuen Restaurant und grinsen um die Wette. Wo früher Pizza serviert wurde, gibt es jetzt „Jollof rice“, „Egusi soup“ und „Pounded yam“. Die beiden Flüchtlinge aus Nigeria bieten traditionelle Speisen ihrer Heimat an, haben es zu einer Fixanstellung gebracht und werden in ihrem Lokal mit Praktikanten arbeiten.


Ort der Begegnung

Es geht im „African Soul“ aber nicht nur um das Essen. „Das Lokal soll ein Ort der Begegnung sein, und zwar eine Begegnung auf Augenhöhe“, sagt Isabelle Hansen, eine der Initiatorinnen. Man wolle afrikanisches Leben näherbringen, vor allem den schönen Teil von Afrika. „Die Lebensfreude weitergeben, die unglaublich ist“, sagt Hansen. Träger des Projekts ist die Sozialgenossenschaft „Spirit“ mit ihrer Präsidentin Angela Wagner, die eigens zu diesem Zweck gegründet wurde.

Rund 50 Mitglieder haben mit ihrem Mitgliedsbeitrag die notwendige Starthilfe gegeben, dazu kommt die Landesförderung für Genossenschaften und Spenden. Vorläufer des Restaurants ist die Aktion „Book a Cook“ des Vereins Empezamos, dem Hansen vorsteht. Über das Projekt bekommt man Köche aus Afrika, Asien oder Südamerika vermittelt und kann sie gegen eine Spende zu sich nach Hause oder auf Feste einladen. Die Idee kam an, den Leuten schmeckte es, und man sah bald, dass sich unter den Flüchtlingen einige hervor­ragende Köche verbargen.

Drei, die sich verstehen: Kelly, Isabelle und Stephen
Kelly, Isabelle Hansen und Stephen

Integration durch Genossenschaft

Die Sozialgenossenschaft Spirit, Mitglied des Raiffeisenverbandes, unterstützt das Projekt. „Wir sehen solche Projekte positiv“, sagt Herbert Von Leon, Obmann des Raiffeisenverbandes Südtirol. „Wegschauen hilft nicht, der Staat ist überfordert, die Zivilgesellschaft muss eingreifen. Die Zahl der Sozialgenossenschaften steigt, auch aufgrund der neuen gesellschaftlichen ­Umbrüche und Erfordernisse – sie werden in Zukunft noch stärker wichtige Aufgaben erfüllen. Der Genossen­schaftsgedanke der Hilfe zur Selbsthilfe ist aktueller denn je.“ Diesen werde man im Jahr 2018, anlässlich des 200. Geburtstages von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, einmal mehr ins Bewusstsein der Menschen rücken. In die gleiche Kerbe schlägt auch Wagner. „Die Unterstützung ist besonders in der Anfangszeit essenziell“, sagt sie. Die Mitglieder der Sozialgenossenschaft arbeiten ehrenamtlich. Mittelfristig soll sich das Projekt mit den Einnahmen aus dem Gastbetrieb tragen. Das Gastlokal in der Meraner Petrarcastraße, in dem früher die Pizzeria Da Nunzio untergebracht war, ist angemietet. Die Besitzerin wünschte sich, dass das Lokal einem sozialen Zweck diene, und war beim Mietzins entsprechend bescheiden. Das Gastlokal bietet rund 30 Sitzplätze, in Zukunft soll es auch ein „Take away“ geben und man will ins Cateringgeschäft einsteigen.


Vom Flüchtling zum Kollegen und Nachbarn

Kelly ist seit zwei Jahren in Südtirol. Er lebte in der Flüchtlingsunterkunft in Prissian, verließ diese aber bald, da er eine Nachtarbeit hatte und es nach getaner Arbeit keinen Bus mehr nach Prissian gab. Seitdem wohnt er in Gargazon und steht auf eigenen Beinen. Die Arbeit im „African Soul“ ist der nächste Schritt, und schon bald sollte sein Asylverfahren abgeschlossen sein. Diesen Schritt hat Stephen schon hinter sich, er lebt seit sechs Jahren in Meran. Über ihre Flucht wollen die beiden nicht reden. „Es zählen Gegenwart und Zukunft“, blockt Isabelle Hansen bewusst die Anfragen ab. „Wir wollen keine tragischen per­sönlichen Schicksale an die Öffentlichkeit zerren und Menschen wie im Zoo vorführen.

Das Restaurant ist für alle eine Chance, ein ­schmerzvolles ­Lebens hinter sich zu lassen, das muss als Information reichen.“
Die Begeisterung fürs Kochen merkt man beiden Afrikanern an. Wenn sie stolz die Fotos ihrer Kreationen herzeigen, detailliert über die Zubereitung reden oder auch mal von nigerianischen Speziali­täten erzählen. Kochausbildung hat Kelly keine ­gemacht. „Ich kann es, weil ich es gern tue.“ Bereits als Kind spielte er mit dem Kochgeschirr der Mutter und schaute ihr beim Kochen zu. ­Später ­arbeitete er im Restaurant eines ghanaischen Hotels und wurde schließlich bei „Book a Cook“ entdeckt. Auch Stephen hat seine ersten Erfahrungen in Mutters Küche gemacht. Im „African Soul“ wird er sich aber vor allem um Bar und Service kümmern und ist Ersatzmann für den Koch.

­Nigerianische Küche im "African Soul"
­Nigerianische Küche im "African Soul"
­Nigerianische Küche im "African Soul"

Das Netzwerk wächst

Sieben Personen werden im „African Soul“ ­arbeiten. Neben den beiden Fixangestellten Kelly und Stephen sind das – dem Auftrag einer Sozialgenossenschaft entsprechend – zwei Personen mit Beeinträchtigung. Außerdem werden jeweils drei Flüchtlinge ein Praktikum absolvieren. Sie sollen die Grundlagen in Küche, Service und Hygiene ­lernen, dazu theoretischen Unterbau und Persön­lichkeitsbildung, um danach auf dem Arbeitsmarkt weitervermittelt zu werden.

Neben dem normalen Restaurantbetrieb soll es auch besondere Abende geben. ­Themenabende, Diskussionen, Konzerte. Da kann es leicht ­passieren, dass Koch und Kellner ihren Arbeitsplatz verlassen und sich hinters Mikrofon stellen, denn die Liebe zur Musik ist Teil ihrer afrika­nischen Seele. „Reggae drückt besser aus, was ich fühle. Reggae ist wie ein Gebet“, sagt Stephen. Beide haben schon mehrere Auftritte hinter sich, den nächsten legen sie ja vielleicht im „African Soul“ hin.

African cuisine vom Feinsten: Die ­nigerianische Küche bildet die Basis des kulinarischen ­Angebots, dazu gesellen sich Einflüsse aus dem ganzen afrika­nischen Kontinent.

kontakt

Restaurant African Soul
Petrarcastraße 9
39012 Meran
Facebook: African Soul Meran

 


RESTAURANT AFRICAN SOUL – „Mit Wegschauen lassen sich keine Probleme lösen“.

Isabelle Hansen ist Journalistin bei der Tageszeitung „Dolomiten“,
Präsidentin des Vereins „Empezamos“ und Mitinitiatorin des afrikanischen Restaurants „African Soul“.

Frau Hansen, wie entstand die Idee für ein afrikanisches Lokal?
Isabelle Hansen: Wir hatten mit dem Projekt „Book a Cook“ schon gute Erfahrungen gemacht und haben dort Kelly Asemota entdeckt, einen guten und leidenschaftlichen Koch. Im April wurde die Sozialgenossenschaft Spirit mit dem konkreten Ziel gegründet, Menschen durch soziale Integration zu fördern. Als uns das Lokal der ehemaligen Pizzeria „Da Nunzio“ angeboten wurde, konnten wir nicht Nein sagen.

 

Unter afrikanischer Küche können sich die meisten Südtiroler wenig vorstellen.
Isabelle Hansen: Sie ist sehr vielseitig, es gibt Yam statt Kartoffeln, viele unterschiedliche Saucen aus Melonenkernmehl mit viel Gemüse, aber auch Fleisch oder Fisch und eine Art Brandteig ohne Ei als Löffelersatz. Gegessen wird traditionell mit den Fingern.

Der Name „African Soul“ ist also Programm. Was ist das Besondere daran?
Isabelle Hansen: Wir möchten nicht nur „African food“ bieten, sondern auch die Menschen, ihre Kultur und ihr Lebensgefühl zeigen. Die Menschen, die hier arbeiten, sollen stolz sein auf ihr Lokal UND ihre Kultur.

 

Warum habt ihr euch für die Unternehmensform Genossenschaft entschieden?
Isabelle Hansen: Der Grundgedanke der Genossenschaften ist ja, dass man gemeinsam mehr schafft als allein und die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund steht. Außerdem erhalten wir als Genossenschaft bessere Möglichkeiten der Förderung.

Sie persönlich engagieren sich sehr stark in der Flüchtlingshilfe …
Isabelle Hansen: Mit Wegschauen lassen sich keine Probleme lösen. Wir möchten mit unserem Projekt – einem Mosaiksteinchen unter vielen – Menschen helfen, die es nicht so gut haben wie wir. Was im Kleinen beginnt, kann zu etwas Großem wachsen.