Ausgabe 01/19 -

Nachhaltig leben und investieren – Auf der grünen Welle

Nachhaltigkeit ist ein Wort unserer Zeit, oft benutzt, oft falsch verstanden. Beispiele aus Südtirol zeigen, dass es Nachhaltigkeit nicht nur in der Ökologie gibt, sondern auch in der Wirtschafts- und Finanzwelt.

Wenn man das „Novo“ in der Bozner Weggen­steinstraße betritt, empfangen einen nicht das typische Kaufhausgedudel und der Geruch von Klimaanlagen-Luft und gewachsten Fußböden, sondern das betörende olfaktorische Zusammenspiel von allerlei Gewürzen. Gleich beim Eingang stehen offene Salztöpfe und unzählige Gläser mit Kurkuma, Anis, Oregano, Senfkörnern und vielen anderen Spezereien. Weiter hinten im Geschäft stehen Gläser mit Tee, Nüssen, Getreide und Nudeln, dazwischen Kaffee, Käse, Wurst und getrocknete Früchte.


Die Lebensmittel werden in wieder­verwendbare Behälter oder Gläser abgefüllt.
Novo Bozen

Keine Plastikberge, dafür regionale ­Produkte

Aber nicht die Gerüche sind das Besondere an diesem Geschäft. Es ist der Verzicht auf Plastikverpackungen, soweit es der Alltag im Einzel­handel eben zulässt – und ein reichhal­tiges Angebot an Bio- und regionalen Produkten. Geschäftsinhaber Stefan Zanotti ist mit der freiberuflichen Hebamme Maria Lobis verhei­ratet, die beiden haben drei Kinder. Und je mehr die Familie wächst, desto mehr schockieren die Plastikberge, die nach jedem Einkauf übrigbleiben. Und so verkaufen Zanotti und seine Frau und drei Mitarbeiterinnen alles für den täglichen Bedarf, ohne unnötige Verpackungen. Von den schon angesprochenen Lebensmitteln über Obst und Gemüse, Babybekleidung und Stoffwindeln bis hin zu Zahnbürsten aus Bambus und Zahnputztabletten. Nach Hause nehmen kann man die Waren in Gläsern, Flaschen oder Stoffbeuteln, oder auch in überraschend stabilen „Plastikdosen“ aus Zuckerrohrresten. Die Idee des verpackungsfreien Supermarkts ist nicht neu. Zanotti ließ sich von ähnlichen ­Geschäften in Deutschland und Österreich inspirieren und bastelte sich daraus sein eigenes Konzept. Zwei Jahre flossen in die Planung, bevor „Novo“ vor eineinhalb Jahren eröffnete. Sein Ziel ist es, einen Großhandel für ähnlich arbeitende Geschäfte aufzubauen, eine Art Franchise-­System für nachhaltige Supermärkte. Erste Betriebe beliefert er bereits.

Novo Bozen

Geschäftsinhaber Stefan und Mitarbeiterin Barbara – ein gutes Team.

Finanzwirtschaft in der Pflicht

Nachhaltigkeit ist aber nicht nur auf den ­Umgang mit Verpackungen beschränkt, ­sondern der – leider etwas inflationär benutzte – Begriff steht für ein Wirtschaftssystem, in dem nicht mehr verbraucht werden darf, als ­nachwachsen und sich regenerieren kann. Er steht für Verantwortung und Zukunftsfähigkeit. Der Trend ist nicht neu, begeistert aber immer mehr Menschen und hat auch in der Finanzwirtschaft ­Einzug gehalten (siehe Interview unten). Zweifelsohne wird das Thema Nachhaltigkeit in der künftigen Ausrichtung der Geschäfts­strategie der Banken zunehmend an ­Bedeutung gewinnen. Die Daseinsberechtigung einer Bank allein durch die Bereitstellung von ­Service­stellen wird zu Ende gehen. Finanz­produkte sind austauschbar. Konstante Leistung, spürbare ­Einzigartigkeit und authentisch im Tagesgeschäft umgesetzte Wertvorstellungen sind künftig bedeutendere Erfolgsfaktoren als bilanzielle Größe. In Zukunft müssen Banken vermehrt einen Sinn stiften, um erfolgreich zu sein. Denn Kunden fragen nach Werten, die eine Bank ­bietet, und wählen dementsprechend die Bank aus, mit der sie sich am besten identifi­zieren können.

Green Investments

Auch im Investmentbereich tut sich einiges, so hat das Interesse an nachhaltigen Investments seit der Finanzkrise deutlich zugenommen. „Bei den sogenannten Nachhaltigkeitsfonds geht es um eine dreidimensionale Sicht von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft“, ist der Finanz­experte ­Wolfgang Pinner von der Öster­reichischen Fondsgesellschaft ­Raiffeisen Capital Management überzeugt. Dabei ­stehen ­Mega­trends wie neue Recyclingmodelle, ­Verwertung von Mikroplastik und Elektronikschrott, ­nachhaltige Forstwirtschaft, Biolebensmittel, Elektro­mobilität und dergleichen im Mittelpunkt. ­Nachhaltigkeitsfonds investieren in Unternehmen, die sich hier engagieren, Inno­vationen umsetzen und zukunfts­fähig wirt­schaften. Diese Unternehmen werden dabei einer Nachhaltigkeits- und Finanzanalyse ­unterzogen. „Selbst­redend investieren Nach­haltigkeitsfonds beispielsweise nicht in Bereiche, wo Atomkraft, Waffen oder Kinderarbeit eine Rolle spielen“, ­betont Pinner. Nachhaltigkeit korre­liere durchaus mit einer guten Performance, wie Unter­suchungen belegen.


Entscheiden, was mit dem Geld passiert

Ein Bewusstsein für eine verantwortungsvolle Geldanlage möchte seit dem Jahr 2000 auch Raiffeisen Ethical Banking schaffen. „Hier erhalten nur jene Projekte einen Kredit, ­welche einen Mehrwert für die Allgemeinheit ­schaffen“, sagt Roland Furgler, Ethical-Banking-­Verantwortlicher der Raiffeisenkassen. Die Raiffeisenkasse und der Sparer als Kreditgeber verzichten zugunsten des Projektes auf einen Teil der Rendite, dafür ist die Einlage sicher und wird sinnvoll eingesetzt, und der Sparer kann entscheiden, was mit seinem Geld ­passiert. ­Gefördert werden zum Beispiel Projekte in den Bereichen Gerechter Handel, Erneuerbare Energien und Handwerk in Südtirol. Alle Kreditnehmer und ­Projekte werden genau geprüft und diese ­anschließend veröffentlicht.

Neue Ideen und Projekte brauchen Zeit. Auch bei Stefan Zanotti war erst nicht klar, ob die Idee zum Erfolg wird. Die ersten Monate waren schwer, sagt er, aber nun haben sie genug ­Kunden, die regelmäßig kommen. Dazu verhilft auch der Barbetrieb mit Profi-Kaffeemaschine und Tischchen vor dem Haus. Damit die Menschen ins Gespräch kommen, im Novo, aber auch Kreditgeber und -nehmer des Ethical Banking. Roland Furgler besucht regelmäßig seine Kunden, dreht kurze Videos davon und stellt sie ins Netz. Nachhaltig ist diese Arbeit nicht zuletzt für ihn selbst. „Ich habe in dieser Zeit viel fürs Leben gelernt und tolle Menschen mit viel Weitsicht und Idealismus kennengelernt“, sagt er.

Und er hat gesehen, dass kleine Schritte viel bewirken können.

Interview mit Martin von Malfèr
NACHHALTIGES INVESTMENT – Nachhaltigkeit muss sich auszahlen

Martin von Malfèr erklärt die neue EU-Verordnung, mit der Unternehmen und Investoren zu nachhaltigem Handeln animiert werden. Martin von Malfèr arbeitet als Finanzexperte bei der Raiffeisen Landesbank und betreibt eine Landwirtschaft in Salurn.

Herr Malfèr, die EU will die Finanzwirtschaft per Verordnung zu mehr Nachhaltigkeit zwingen.
Martin von Malfèr: Die sogenannte ESG-Verordnung soll noch heuer verabschiedet werden und Geldflüsse so steuern, dass nicht mehr Gewinnmaximierung im Mittelpunkt steht, sondern das Geld der Investoren in Projekte und Firmen fließt, welche die Umwelt schützen und soziale Standards einhalten.

 

Ist das nötig?
Martin von Malfèr: Nachhaltiges Wirtschaften wird in der Presse stetig thematisiert und Einzelne haben ein Geschäftsmodell daraus gemacht. Aber der große Wurf ist das nicht. Von alleine regelt sich kaum etwas, und wenn, dann nur sehr, sehr langsam. Die EU will Nachhaltigkeit vergleichbar machen. Alle Unternehmen, die in der EU an der Börse quotieren, müssen eine jährliche Nachhaltigkeitsbilanz vorlegen, zum Beispiel über die Nutzung erneuerbarer Energien und den Umgang mit Mitarbeitern. Dies steigert die Vergleichbarkeit und stellt im Idealfall jene Unternehmen an den Pranger, die sich nicht an bestimmte Standards halten.

Wird die Verordnung etwas bewirken?
Martin von Malfèr: Sicher. Die Fondsgesellschaften springen schon heute auf das Thema auf, da sie darin eine neue Geschäfts­idee sehen. Dass in Europa die Kohlewirtschaft keine Zukunft mehr hat, hat auch damit zu tun, dass bereits heute große Staats- und Pensionsfonds die Einhaltung von Umwelt-, sozialen und ethischen Standards von den Firmen, in welche sie investieren, einfordern. Man kann sich vorstellen, was es bewirkt, wenn nun auch die Investmentfonds generell solche Standards verlangen.

 

Sollten wir nicht alle verstanden haben, dass wir mit unserer Wirtschaftsweise unsere Lebensgrundlagen zerstören?
Martin von Malfèr: Theoretisch ja. In der Praxis denken die meisten Menschen aber egoistisch, insbesondere wenn es um ihr Geld geht. Sie wollen aus 100 Euro 110 machen, egal wie. Nachhaltigkeit muss sich auszahlen, für Unternehmen und ­Investoren.