Ist Sparen noch zeitgemäß?
Spare in der Zeit, dann hast du in der Not, lehrten uns unsere Großeltern. Heutige Generationen scheinen davon weit weniger zu halten. Zu verlockend ist der schnelle Konsum. Ist Sparen noch zeitgemäß?
Dagmar und Norbert Demanega trennt eine Generation. Eine Generation, in der sich die Einstellung zum Sparen auch in Südtirol stark verändert hat. „Sparen kann auch Verzicht bedeuten“, sagt Norbert Demanega, der bei der Raiffeisenkasse Salurn arbeitet. „Früher war man das gewohnt, heute will niemand verzichten.“ „Früher gab es auch weniger Möglichkeiten, Geld auszugeben. Heute tut man, worauf man Lust hast“, entgegnet seine Tochter Dagmar. Damit ist die Frage rund ums Sparen recht gut auf den Punkt gebracht. Soll man sparsam leben und für später vorsorgen, oder genießt man lieber, was man hat?
Sparen war für frühere Generationen die klassische Finanzierungsform für teure Anschaffungen und eine Selbstverständlichkeit. Nur wer Geld auf die Seite legte und sich eine Notreserve aufbaute, konnte ruhig schlafen. Doch das hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Heute muss sich dank Wohlfahrtsstaates und relativ leicht verfügbarer Kredite niemand groß Sorgen machen. Denken viele.
Verändertes Sparverhalten
Trotz aller Änderungen des Konsum- und Sparverhaltens sind die Südtiroler noch immer brave Sparer. Es gibt zwar kaum Zahlenmaterial, aber die wenigen Zahlen sprechen eine klare Sprache. Der aktuellste Wert für die Sparquote, also den Teil des Einkommens, der nicht für den Konsum, sondern fürs Sparen bestimmt ist, beträgt laut Landesstatistikinstitut Astat 18,1 Prozent. Zum Vergleich, im EU-Schnitt bewegt sich die Sparquote der privaten Haushalte zwischen 10 und 15 Prozent. Die Sparquote der privaten Haushalte in Italien sank im Zeitraum von 1995 bis 2016 von knapp über 20 auf knapp über 10 Prozent. Die Ursachen dafür sind vielfältig.
Auswirkungen der Einkommens- und Zinsentwicklung
Das Thema Sparen kann nicht losgelöst vom Einkommen und dessen Entwicklung betrachtet werden. Bei steigenden Lebenshaltungskosten und stagnierender bzw. rückläufiger Reallöhne fällt es vielen Menschen immer schwerer, regelmäßig Geld auf die Seite zu legen. Aus einer kürzlich veröffentlichten Studie der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 ore“ sind die Einkommen Italiens – trotz des leichten Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren – unter dem Vor-Krisenniveau, also unter dem Niveau von 2008. Geringverdiener, die einen Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie wie Strom, Heizöl oder Sprit aufwenden müssen, spüren steigende Verbraucherpreise besonders deutlich. Auch die Zinsentwicklung der letzten 15 Jahre wirkt sich erheblich auf das Sparen aus. Sparzinsen sind praktisch nicht mehr vorhanden, Kreditzinsen sind auf einem historisch niedrigen Niveau. Laut Studien beeinflusst auch die Banken- und Finanzkrise von 2007/2008 immer noch das Konsumverhalten. Sie hat das Vertrauen in Banken und Versicherungen erschüttert und trägt dazu bei, dass viele Verbraucher ihr Geld lieber ausgeben, als es zu sparen.
Südtiroler sind fleißige Sparer
Sergio Sorgi, ein renommierter Vorsorgeexperte, hat bei seiner Arbeit Sparer in ganz Europa kennengelernt. „Bei den Südtirolern fällt eine große Ernsthaftigkeit im Umgang mit Geld auf. Es gibt eine Kultur des Sparens, die im Rest Europas nicht so verbreitet ist“, sagt er. Wirtschaftliche Stabilität sei aber nicht nur eine Frage der Finanzen, auch andere Faktoren spielen eine wichtige Rolle, betont Sorgi. Es gilt, die Ausgaben zu kontrollieren, Schulden gut zu verwalten, sich gegen die Risiken des Lebens ausreichend abzusichern, an die Pension zu denken und vieles mehr.
Lohnt sich da das Sparen überhaupt noch? Sorgi sagt ja und rät, Geld nicht als Ziel, sondern als Mittel zum Zweck zu sehen. „Das Ziel des Sparens sind Lebensentwürfe, Notwendigkeiten und Wünsche von morgen“, sagt er. Es geht also darum, dem Sparen einen Sinn zu geben, nicht nur Sparen um des Sparens willen. „Man muss die Zukunft planen, sich überlegen, was man sich wünscht, und diesen Wünschen einen Namen, eine Zeit, einen Betrag und eine Priorität geben.“ Dabei muss man dann auch wissen, wann ein Ziel zu hoch gesteckt ist.
Finanzberater können dabei helfen. „Ein seriöser Berater beginnt nicht beim Geld, sondern beim Lebensentwurf“, sagt Sorgi. Er bewertet die Bedürfnisse und zeigt Möglichkeiten auf, diese zu befriedigen.“ Dann kann man sich auch nach dem Sparen über das neue Auto oder den Urlaub freuen und muss nicht im Nachhinein Kredite abzahlen für Dinge, die man eigentlich gar nicht braucht. Oder, wie Norbert zu sagen pflegt: „Es ist nicht schön, wenn man für das Brot arbeiten muss, das man schon gegessen hat.“
Erziehung zum Sparen notwendig
Am Ende sind die Meinungen von Vater und Tochter doch nicht so weit auseinander. Norbert Demanega sagt, er habe bei allem Sparen für das Haus nicht auf Auto (zweiter Hand natürlich) und einen kleinen Urlaub verzichtet. Er hätte aber niemals einen Kredit aufgenommen, um in Urlaub zu fahren, was heute gang und gäbe ist. Tochter Dagmar weiß, dass die heutige Generation eine Erbgesellschaft ist und von den Tugenden der vorherigen Generation profitiert. „Viele könnten ihr Business ohne die Hilfe der Eltern und Großeltern nicht starten“, sagt sie. „Und oft genug nutzen die Jungen das Geld ja auch gut und verprassen es nicht.“ „Das Sparen wird nicht mehr in die Wiege gelegt“, meldet sich auch Dagmars Mutter kurz zu Wort, „man muss es den Kindern schon beibringen und als Eltern Vorbild sein.“ Norbert Demanega fürchtet, dass die Zeiten wieder schlechter werden. Auch die Notwendigkeit, sich eine private Altersvorsorge aufbauen zu müssen, macht das Sparen heute schon und in Zukunft immer wichtiger. Und dann ist Sparen wieder positiv besetzt: Nicht als Geiz und einschränkender Verzicht, sondern als Möglichkeit, zu – wenn auch bescheidenem – Wohlstand zu kommen und sich auch im höheren Alter Träume zu erfüllen.
RICHTIG SPAREN – Wer heute spart, hat es morgen besser
Vorsorgeexperte Sergio Sorgi sieht eine Abwendung von der Prahlerei vergangener Jahre und eine Rückkehr zur Nüchternheit. Trotzdem, früher war nicht alles besser. Sergio Sorgi ist Vizepräsident des Mailänder Beratungsunternehmens Progetica und befasst sich mit Vorsorge und Finanzerziehung. Er ist Referent bei zahlreichen Raiffeisen-Weiterbildungsveranstaltungen und Tagungen.
Herr Sorgi, welche Einstellung zum Sparen beobachten Sie? Ist der Verzicht auf Ausgaben aus der Mode?
Sergio Sorgi: Mir scheint, dass nach Jahren der Prahlerei wieder die Nüchternheit Einzug gehalten hat. Man teilt, verleiht, recycelt, repariert. Das Bewusstsein für verantwortungsbewussten Konsum, Nachhaltigkeit und Umwelt wächst.
In der Finanzwelt scheint sich Risiko auszuzahlen – wer riskiert, gewinnt, wer spart, dem fressen die Spesen das Kapital auf. Ist Sparen noch zeitgemäß?
Sergio Sorgi: Die Finanzwelt lehrt, dass es zwei Arten von Risiko gibt. Es gibt die Spekulation, von der sich Sparer fernhalten sollten. Es gibt aber auch das „gute“ Risiko, welches jene belohnt, die streuen, und das Verhältnis von Anlagezeit und -risiko nützt.
Mancher fährt mit geliehenem Geld in Urlaub oder kauft mit Konsumkrediten ein …
Sergio Sorgi: Der Konsum auf Kredit ist typisch für eine Gesellschaft, die das „Haben“ über das „Sein“ stellt. Es ist eine kulturelle Frage und eine Frage der Bildung. Es gilt, hohe Schulden zu vermeiden, Geld bewusster auszugeben und für Lebensziele Geld auf die Seite zu legen.
„Früher hat man Geld gespart, bevor man es ausgab“, hören wir gern von unseren Großeltern. War früher wirklich alles besser?
Sergio Sorgi: Nein, die Vergangenheit war geprägt von Hunger, Epidemien und Krieg. Heute erleben wir einen nie gekannten Wohlstand. Die Idealisierung der Vergangenheit ist ein Fehler, typisch für jene, welche die Gegenwart mit Unbehagen erleben und Angst vor der Zukunft haben. Sparen vor dem Ausgeben ist trotzdem aktuell, denn nur wenn wir heute sparen, werden wir morgen eine hohe Lebensqualität haben.
Was ist denn das Hauptproblem unserer Zeit bezogen auf das Sparen?
Sergio Sorgi: Ich denke, die Ungleichheit. Das größte Risiko für unsere Zukunft ist nicht die Entwicklung der Märkte, sondern der Rückgang der Löhne und Gehälter.