Gemeinsam starten
Der Raiffeisenverband unterstützt die Gründung von Genossenschaften mit seiner Start-up-Beratung. Die Sozialgenossenschaft humanitas24 konnte dank dieser Beratung gegründet werden.
Ursula Thaler hatte Erfahrung in der Altenpflege. Nach einer pflegerischen Ausbildung war sie zwölf Jahre im Hauspflegedienst Salten-Schlern tätig und hat dabei gesehen, dass großer Bedarf nach einer angemessenen Begleitung pflegebedürftiger Menschen besteht. So entstand die Idee, selbst aktiv zu werden, und sie gründete die Sozialgenossenschaft „humanitas24“. humanitas24 ist eine von rund zehn bis 15 Genossenschaften, die jedes Jahr als neues Mitglied im Raiffeisenverband aufgenommen werden. Und der Raiffeisenverband war es auch, der Ursula Thaler bei der Genossenschaftsgründung unterstützte.
Die Start-up-Beratung im Raiffeisenverband gibt es seit 2009. „Uns ist es wichtig, eine umfassende und kompetente Beratung für interessierte Genossenschaftsgründer zu bieten und sie mit unserem Know-how zu begleiten“, erklärt Paul Gasser, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes, „vordergründiges Ziel ist es, dass der langfristige Erfolg der neu zu gründenden Genossenschaften gewährleistet ist.“
Zwei Berater kümmern sich um all jene, die eine Genossenschaft gründen wollen. 30 bis 40 Anfragen gehen pro Jahr ein. Genossenschaften existieren in den unterschiedlichsten Branchen, immer mehr entstehen im sozialen Bereich, wo es auch immer mehr Bedarf gibt. Stark im Trend: die Pflege und Betreuung von Menschen, die wegen Krankheit oder Alter nicht mehr selbstständig durchs Leben gehen können und deshalb Hilfe zu Hause brauchen.
Vermittlung von Pflegepersonal
So eine Genossenschaft ist humanitas24. Sie stellt den Kontakt zwischen Pflegebedürftigen und den Pflegern her. „Die Familie meldet sich, meist die Angehörigen des oder der Pflegebedürftigen“, sagt Thaler. „Wir beraten und zeigen auf, was für Lösungsmöglichkeiten es gibt. Dann kümmern wir uns um die Vermittlung einer Pflegeperson, die dann direkt von der Familie angestellt wird.“ So wie es bei Anna Maria Walzl Thuile geschehen ist. Die rüstige, aufgeweckte 88-Jährige würde am liebsten alles alleine machen, aber ab und zu ist eine helfende Hand doch nötig. Die hat sie dank humanitas24 gefunden. Neben dem Vermittlungsdienst bietet die Genossenschaft auch Unterstützung bei bürokratischen Ansuchen rund um das Thema Pflege (zum Beispiel Pflegegeld, Begleitgeld u. a. m.) an.
humanitas24 wurde im Juli 2014 gegründet, es folgten einige Monate an intensiver Vorbereitungszeit, bis die Genossenschaft im Dezember letzten Jahres aktiv wurde. Begleitet wurde Thaler dabei von Astrid Kuprian, Start-up-Beraterin im Raiffeisenverband. Sie berät die Gründer über Chancen und Risiken, stellt aber auch grundsätzliche Fragen wie: Ist die Idee genossenschaftlich umsetzbar? Wie schaut das Konzept aus, wie die Finanzierung? Wer sind die Kunden? Wo ist das Tätigkeitsgebiet? Im Interesse einer erfolgreichen Genossenschaftsgründung gilt es, im Start-up-Prozess bestimmte Kriterien zu erfüllen. „Eine Genossenschaft hat zwar keine Gewinnabsicht, aber das Ziel muss sein, innerhalb von zwei Jahren kostendeckend zu arbeiten oder in die Gewinnzone zu kommen“, so Kuprian.
Umfassende Beratung
Diese Erfahrung hat auch Ursula Thaler gemacht, als sie sich Anfang 2014 an die Start-up-Berater wandte. „Sie haben sich schon ganz genau angesehen, was wir vorhaben“, sagt Thaler. Am Ende habe dann aber alles gepasst: „Ich habe mich dort wohlgefühlt, obwohl ich auch bei anderen Genossenschaftsverbänden war.“ Der Raiffeisenverband bietet für Genossenschaftsgründer Fachberatungen im Bereich Personal-, Arbeits- oder Steuerrecht an. Das Statut wird von der Rechtsabteilung ausgearbeitet und den Gründern ausgehändigt, mit diesem Dokument erfolgt die Gründung der Genossenschaft beim Notar. Die gesamte Beratung ist kostenlos. Nach der Gründung wird die Genossenschaft zwei Jahre lang weiter
von den Start-up-Beratern in regem Austausch begleitet und betreut. Mit Gründung kann man Mitglied des Raiffeisenverbandes werden. Bei der Gründung einer Genossenschaft stellt sich auch die Frage nach der geeigneten Finanzierung und dem Bedarf an optimaler Absicherung. Hier gibt es bei den Raiffeisenkassen Experten, welche nach einer sorgfältigen Beratung bedarfsgerechte Finanzierungs- und Versicherungslösungen anbieten können.
Damit kristallisiert sich der besondere Vorteil des Raiffeisen-Netzwerkes heraus, nämlich die Möglichkeit, von der Beratung über die konkrete Finanzierung des Vorhabens bis zur Absicherung alles aus einer Hand in Anspruch nehmen zu können. Das verkürzt Wege und schafft Sicherheit.
Schritte zur Genossenschaftsgründung
Die Nachfrage steigt
Die Genossenschaft humanitas24 hat drei Mitglieder, Ursula Thaler arbeitet Vollzeit für die Genossenschaft, dazu kommt eine Halbtagesstelle. Neue Mitglieder wären herzlich willkommen, sagt sie. Ebenso eine Sekretärin, aber die ist im Moment noch nicht bezahlbar. Die Genossenschaft wächst noch, und Thaler will kostendeckend arbeiten.
Thaler rechnet in den nächsten Jahren mit einer weiteren steigenden Nachfrage nach Pflegediensten zu Hause: „Wir können nicht alle Anfragen bewältigen oder alle Wünsche erfüllen“, sagt Thaler. Es sei ganz wichtig, Familien und Betreuer gut auszuwählen und sie zusammenzubringen, wie das bei Anna Maria Walzl Thuile der Fall war. Auch in vielen weiteren Fällen ermöglichte die Start-up-Beratung die Gründung einer Genossenschaft und machte damit konkrete Hilfe möglich. So wurden kürzlich der „Weltladen Latsch“ (Geschäft mit lokalen und fairen Produkten) und die Sozialgenossenschaft „Grenzgänger“ (Betreuung Jugendlicher mit Wahrnehmungsstörungen und autistischen Zügen) als Start-ups gegründet.
Start-Up-Beratung
Die Broschüre informiert ausführlich über alle Aspekte der Gründung und der Führung einer Genossenschaft. Sie ist in allen Raiffeisenkassen kostenlos erhältlich.
Start-up Anlaufstelle für Genossenschaftsgründung
Raiffeisenverband Südtirol, Crispistraße 9,
39100 Bozen
Telefon: 0471 945 296
E-Mail: start-up@raiffeisen.it
www.raiffeisenverband.it/startup
Genossenschaftsgründung „Der Mensch im Mittelpunkt“
Karl Heinz Weger über Initiatoren, welche etwas bewegen wollen, die Vorteile für Mitglieder und warum Genossenschaften boomen.
Herr Weger, wenn ich eine Genossenschaft gründen will, warum sollte ich dann zu Ihnen kommen?
Karl Heinz Weger: Weil Sie hier eine gute, fundierte, ausgewogene Start-up-Beratung bekommen. Wir haben die nötige Erfahrung und das nötige Wissen. Wir versuchen, das Umfeld der Menschen zu verstehen, die zu uns kommen, und erörtern, inwieweit die Geschäftsidee auch umsetzbar ist.
Was charakterisiert eine Genossenschaft?
Karl Heinz Weger: Die Genossenschaft ist eine Unternehmensform, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht das Kapital. Pro Kopf ein Stimmrecht, demokratische Entscheidungsfindung, die Vollversammlung ist das höchste Organ.
Eine Genossenschaft darf keine Gewinnabsicht haben.
Welche Vorteile gibt es dann?
Karl Heinz Weger: Selbstverständlich muss eine Genossenschaft kostendeckend arbeiten und auch gewisse Überschüsse erwirtschaften, um Rücklagen zu bilden.
Die Mitglieder bekommen keine Gewinnausschüttung, aber sie profitieren von den Leistungen der Genossenschaft. Zum Beispiel bessere Erzeugerpreise bei landwirtschaftlichen
Genossenschaften oder eine angemessene Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen bei Arbeiter- und Sozialgenossenschaften.
Wie erklären Sie sich den Boom im Genossenschaftswesen?
Karl Heinz Weger: Man sagt manchmal, Genossenschaften sind Kinder der Not, aber ich glaube, es ist vor allem der Wunsch nach Eigeninitiative und demokratischer Mitbestimmung, die Menschen dazu motiviert, sich genossenschaftlich zu organisieren.
Wie sieht der typische Genossenschaftsgründer aus?
Karl Heinz Weger: Die Interessierten, die zur Start-up-Beratung kommen, sind in der Regel Personen, die sich durch Unternehmungsgeist, Mut und Neugier auszeichnen. Sie haben ein Gespür für das Umfeld und sind gegenüber neuen Herausforderungen aufgeschlossen. Sie sind bereit für Veränderungen und möchten ihre Idee mit anderen Personen umsetzen.
Zur Person:
Karl Heinz Weger, Leiter der Hauptabteilung Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Raiffeisenverband Südtirol