Börsenkommentar: Die Dynamik der Unsicherheit

Wir Menschen bewegen uns in Raum und Zeit. Wir schauen zurück und versuchen aus vergangenen Erfahrungen etwas für die Gegenwart und die Zukunft abzulesen. Unsere Entscheidungen basieren auf Erwartungen, doch bleibt die Zukunft bis zu ihrem Eintritt ungewiss. Der Mensch ist kaum in der Lage, alle Variablen zu erfassen, die seine Zukunft beeinflussen. Häufig liegen unsere Vorhersagen daneben, wir korrigieren sie oder geraten sogar in Krisen.

Dieses Hin und Her zwischen Erwartungen und Enttäuschungen führt dazu, dass wir ständig Anpassungen vornehmen, um Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln. An den Finanzmärkten geht es ähnlich zu. Anleger*innen kaufen Zukunft: Überzeugende Unternehmen steigen im Kurs, Enttäuschungen führen zu Preisstürzen. Morgen können Totgesagte Gewinner sein. Die Modelle, auf die Investoren bauen, verlieren oft an Wert, da sie auf vergangenen Erfahrungen aufbauen, die heute nicht mehr zählen.

Derzeit wird die Wirtschaftsentwicklung in Europa für 2024 als schwach eingeschätzt, während die USA aufgrund umfangreicher Investitionsprogramme in Infrastruktur und Rüstung sowie profitabler Erträge aus fossilen Brennstoffen in einem Wahljahr gute Gewinnaussichten bieten. Daher sollten die Zinsen in Europa bald sinken, während sie in den USA stabil bleiben. Die zunehmenden Zinsunterschiede zwischen den USA und Europa könnten den US-Dollar stärken. Die jüngste Entwicklung der Unternehmensgewinne in Europa und den USA hat jedoch gezeigt, wie schnell Erwartungen enttäuscht werden können, indem sie – entgegen den Erfahrungen der letzten 20 Jahre – die Aktienkurse im April gedrückt haben. Die Lage bleibt weiterhin unsicher. Europas Produktsektor leidet unter steigendem Konkurrenzdruck aus China. Wenn die Fördermaßnahmen zur Rückverlagerung greifen, könnte sich das Blatt wenden und Investitionen könnten verstärkt nach Europa zurückfließen. Dies könnte die Kurse europäischer Anleihen und Aktien ankurbeln.