Virtuelle Wirtschaft löst Industriegesellschaft ab
Eine Wirtschaft nach der Wirtschaft, gibt es das überhaupt? Zurzeit durchleben wir wohl das größte Experiment der Menschheitsgeschichte. Wir bauen unsere Wirtschaft mit rasanter Geschwindigkeit um.
Foto: Helmuth Rier
Die Menschen denken nur an Corona, fahren die Geschwindigkeit herunter, überdenken Arbeits-, Produktions- und Dienstleistungsmodelle und sind froh über den wenigen Freiraum, der noch bleibt. Gleichzeitig findet eine rasante Technologisierung des menschlichen Zusammenlebens statt. Bald werden nicht nur Smart Working und Zoom-Konferenzen von sich reden machen. Die reelle Welt wird immer mehr der virtuellen Welt weichen. Reisen und feiern mit 4D-Helmen, produzieren mit 3D-Heimdruckern, bezahlen mit Krypto-Euro. Nun wird vieles möglich, was bisher verpönt war. Selbst 5G wird hoffähig.
Es scheint, als wäre Covid-19 ein Katalysator für überfällige Entwicklungen. Dies wird das Ende einer geldbasierten Marktwirtschaft bedeuten, die versucht, Konsumenten Bedürfnisse einzureden, und das unter enormem Ressourcenverbrauch. Möglicherweise ist Covid-19 aber auch ein Segen, weil wir uns im Wettlauf um den Selbsterhalt Zeit erkaufen. Vielleicht sind die sinkenden CO2-Werte eine gute Gelegenheit, unsere Wirtschaft umzubauen und die fatale globale Erderwärmung zu stoppen. Vielleicht gelingt es uns nun wirklich, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 zu halbieren, wie in Paris 2015 vereinbart.
Vielleicht leben wir auch wegen der abnehmenden Luftverschmutzung gesünder und länger. Die Finanzmärkte schieben Covid-19 nonchalant beiseite. Sie sind bereits in der virtuellen Welt angekommen und interessieren sich nicht für die reelle Welt da draußen. Virtuelles Geld, geschaffen von virtuellen Firmen, treibt virtuelle Wertpapiere nach oben, die damit virtuelle Dienstleistungen verkaufen, an andere virtuelle Firmen.
Die Gretchenfrage lautet nur: wie wichtig ist im neuen System noch der Mensch?
Dr. Martin von Malfèr,
Abteilung Finanzdienstleistungen, Raiffeisen Landesbank Südtirol AG