„Eine Anlagestrategie ist keine Eintagsfliege“
Die Corona-Krise hat die Nerven mancher Anleger strapaziert. Die Finanzmärkte haben sich von ihrem Tiefstand zwar wieder erholt, aber noch immer geht es an der Börse heftig auf und ab. In einer Kurzumfrage haben wir drei Raiffeisen-Anlageexperten um ihre Meinung gefragt.
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EFA-Berater Private Banking,Raiffeisenkasse Prad-Taufers
Thomas Prieth
Herr Prieth, das Börsenjahr 2020 ist turbulent. Wie haben Ihre Kunden bisher darauf reagiert?
Ganz unterschiedlich. Nachdem wir sehr gute Börsenjahre hinter uns haben, haben Anleger zum Teil verkauft und bisher angefallene Gewinne mitgenommen. Natürlich nicht immer zum Höchstpreis. Einige dieser Anleger sind bis heute mehrfach schon wieder bei günstigeren Kursen eingestiegen. Die meisten haben aber die Positionen gehalten, da ihre ursprünglichen Anlageziele immer noch übereinstimmten. Einige Sparer haben sogar die monatliche Rate für ihren Sparplan in der Krise erhöht. Bei vermögenden Privatkunden wurden die Portfolios teilweise schon wieder auf die Ausgangslage zurückversetzt (Rebalancing), d. h. es wurden Anleihen verkauft und mit günstigen Aktien aufgestockt.
Was erzählen Sie Anlegern, die sehr verunsichert sind, weil sie enorme Kursverluste hinnehmen mussten?
Ich ersuche die Anleger um Geduld und rate dazu, die notwendige Ruhe zu bewahren und keine hektischen Anpassungen ihrer langfristigen Anlagestrategien vorzunehmen. Denn eines ist klar: Nur realisierte Verluste sind echte Verluste und nach jeder Krise kam in der Vergangenheit eine Erholung. Das wird auch in Zukunft so sein.
Ist die momentane Börsenphase eine Chance, günstig aussichtsreiche Aktien zu kaufen? Welche Branchen schätzen Sie als aussichtsreich ein?
Mutige Langfristanleger können ruhig erste Positionen aufbauen. Die Frage nach dem richtigen Einstiegs- zeitpunkt umgeht man am besten mit Fondssparplänen. Digitalisierung und Gesundheit zählen zu den langfristigen Wachstumstrends, genauso wie erneuerbare Energien und klimafreundliche Technologien. Zu favorisieren sind in der momentanen Börsenphase auch dividendenstarke Titel.
Die aktuellen Wirtschaftsprognosen sind alles andere als rosig. Besteht erneute Crash-Gefahr?
Eine Crash-Gefahr in dem Ausmaß, wie wir sie Mitte März dieses Jahres erlebten, sehe ich nicht. Die Fundamentaldaten wie Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne verheißen aber nichts Gutes. Das wird der Markt nicht ohne Korrekturen verkraften. Anleger sollten auf eine gute Vermögensstruktur bauen und nicht alles auf eine Karte setzen, dann werden sie mittel- bis langfristig Anlageerfolg haben.
EFA-Berater Private Banking, Raiffeisenkasse Unterland
Helmuth Cazzanelli
Herr Cazzanelli, Studien zeigen, dass 70 bis 80 Prozent des Anlageerfolges nicht von einzelnen Aktientiteln, sondern von der maßgeschneiderten Zusammensetzung des Portfolios abhängt …
Die strategische Aufteilung des Vermögens (Asset Allocation) und breite Diversifikation ist eine Grundsatzentscheidung. Die Zusammenstellung eines Depots ist eine individuelle Frage. Sie ist abhängig von der persönlichen Situation, dem Risikoprofil und vor allem dem Vermögensziel.
Früher ging es bei der Konstruktion von Portfolios vor allem um die bessere Rendite, im Zuge der letzten großen Finanzkrisen rückte der Werterhalt in den Fokus. Stimmt diese Beobachtung?
Das hängt vom Anlegertyp ab. Viele Kunden bevorzugen Substanzerhalt vor Renditemaximierung. Jedoch ohne Risiko (Wertschwankung) gibt es keine Rendite.
Ist eine regelmäßige Überprüfung des Depots sinnvoll und wenn ja, in welchen zeitlichen Abständen?
Das Depot sollte regelmäßig (mindestens einmal jährlich) überprüft werden. Die jährliche Wiederherstellung und Überprüfung der ursprünglich vereinbarten Vermögensaufteilung ist ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Anlagestrategie.
Sollte man die festgelegte Anlage- strategie aufgrund von kurzfristig negativen Wirtschaftsdaten oder sinkenden Börsen- kursen ändern?
Die Welt ist immer in Bewegung, hier gilt es Ruhe und Disziplin zu bewahren. Eine Anlagestrategie ist keine Eintagsfliege. Im Gegenteil, bei aufgeregten Märkten ergeben sich wieder neue Anlagechancen. Wenn sich aber die Lebenssituation ändert, muss das ursprünglich festgelegte Anlageziel überprüft werden.
EFA-Beraterin Private Banking, Raiffeisenkasse Bruneck
Micaela Andreolli
Frau Andreolli, viele Menschen haben den Durchblick bei den Anlagemöglichkeiten verloren. Welchen Beratungsansatz verfolgen Sie?
Kein Vermögen gleicht dem anderen und auch die Ansprüche und Wünsche jedes Menschen sind verschieden. Den Menschen als Ganzes zu sehen, seine Bedürfnisse, Wünsche und Ziele in den Vordergrund zu stellen und mit den Investitionsmöglichkeiten in Einklang zu bringen, das ist unser Beratungsansatz. Genossenschaftliche Beratung ist ein Auftrag. In unserem Private Banking gehören neben einem Konzept mit Weitblick und einer gut abgestimmten Anlagestrategie auch die persönliche Absicherung, eine optimale Pensionsvorsorge und eine gezielte Nachlassplanung zum Betreuungskonzept unserer Kunden.
Die Raiffeisenkassen schreiben sich auf die Fahne, persönlich und kompetent zu sein. Wie spürt dies der Kunde bei der Anlageberatung?
Wir zeichnen uns durch eine Nähe zu den Menschen aus, wie sie sonst kaum zu finden ist. Wir beraten den Kunden vor Ort und nehmen uns Zeit für seine Anliegen und Fragen. Uns geht es nicht um einen schnellen Produktabschluss, sondern um den Aufbau einer nachhaltigen und lebensbegleitenden Kundenbeziehung. Das spürt der Kunde. An unseren Qualitätsstandards kann er uns jederzeit messen.
Was halten Sie in Ihrem Job für das „Wichtigste“?
Eine gute Beziehung braucht Vertrauen und Beweis. Neben der fachlichen Kompetenz setzen wir in unserer Beratung auf Zuverlässigkeit, Einsatz und Nachhaltigkeit. Unser gesamtes Tun und Handeln in der Raiffeisenkasse Bruneck ist werteorientiert und steht unter einem simplen, aber gleichsam durchdringenden Leistungsversprechen: Mehr. Wert. Leben. Das halte ich für das Wichtigste.