Ausgabe 03/22 -

Gemeinschaftsökonomie – Die Lust am Teilen

Teilen, Tauschen, Leihen ist nichts Neues, das gab es immer schon. Dank der Digitalisierung und einem Wandel im Denken wird die „Sharing Economy“ aber zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Mit all ihren Vor- und Nachteilen.

Ein heller Raum, große Schreibtische, Sitzungsraum, Teeküche. Was aussieht wie ein ganz normales mittelgroßes Büro ist in Wirklichkeit ein Platz für viele kleine Arbeitsstätten. Im „Coworking Space“ im Zentrum von Bruneck kann man 14 Arbeitsplätze mieten, entweder monatlich oder auch nur stunden- oder tageweise. Neben dem eigenen Schreibtisch teilt man sich mit anderen die Gemeinschafts­räume und alle Infrastrukturen wie Drucker und Internetzugang. Auch die Kosten für Strom und Heizung teilen sich auf viele Schultern auf.


Alternative Wirtschaftsform

Der Coworking Space ist Ausdruck eines neuen Aspektes des Wirtschaftslebens, der „Sharing Economy“. Diese „Wirtschaft des Teilens“ bezeichnet die gemeinschaftliche Nutzung von Gütern durch Teilen, Tauschen, Leihen, Mieten oder Schenken und die Vermittlung von Dienstleistungen. Im Mittelpunkt steht der Gemeinschaftskonsum.

Betreiber des Angebotes ist der Verein „Stadtentwicklung Bruneck“. „Zu uns kommen vor allem Einzelunternehmer und Freiberufler, die sonst von daheim arbeiten würden“, erzählt die Direktorin der Stadtentwicklung Bruneck, Marion Niederkofler, „und Menschen, die vielleicht in Bozen arbeiten und sich ein bis zwei Mal pro Woche das Pendeln sparen.“ Es sind Grafiker, Fotografen, Softwareentwickler, eine Beratungsagentur für alternative Energien – also viele Kreative und Inhaber von Wissensjobs, die überall arbeiten können. So entsteht mehr als die Summe der Teile, sagt Niederkofler: „Man ist bei uns nie allein und es entstehen berufliche Synergien und private Freundschaften.“

Gemeinschaftsgedanke in vielen Bereichen

Auch in anderen Bereichen entsteht aus dem Teilen ein sinnvoller Mehrwert, beispielsweise beim „Food-sharing“ des Lebensmittel-Netzwerkes „Banco Alimentare“. Hier werden überschüssige Lebensmittel kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum durch Ehrenamtliche von Supermärkten oder Lebensmittelproduzenten abgeholt und an Bedürftige und soziale Organisationen weitergegeben. Beim Carsharing wird das Auto geteilt, in vielen Gemeinden gibt es offene Bücherschränke, Landwirte schließen sich zu einem Maschinenring zusammen, um Maschinen gemeinsam zu nutzen, es gibt Couchsurfing, Mitfahrbörsen und vieles mehr. Im Mai wurde beispielsweise in Schlanders eine Kleidertauschkammer eröffnet, die nicht nur Anlaufstelle für Bedürftige sein will, sondern einen nachhaltigen Umgang mit Bekleidung ermöglicht.

Im Coworking Space Bruneck entstehen berufliche Synergien und auch private Freundschaften.

Coworking-Space startbase in Bruneck

Teilen macht Freu(n)de

Nun ist Teilen, Tauschen und Leihen ja nichts Neues, Bibliotheken oder Nachbarschaftshilfe gab es früher auch schon. Dank Internet kann der Kreis aber nun um ein Vielfaches erweitert werden. Auf Online-Plattformen entstehen digitale Marktplätze und Online-Communities, welche die Vernetzung Gleichgesinnter extrem erleichtern. Teilen ist günstig, flexibel, stärkt den Nachbarschaftsgedanken und hilft dank Nachhaltigkeit und besserer Auslastung von Ressourcen auch der Umwelt. Das Coworking Bruneck gibt es seit 2018, seitdem ist man mehr oder weniger ausgebucht, sagt Direktorin Niederkofler. Sie managt mit ihrem Verein das Angebot, denn es braucht bei all dem „Sharing“ auch einen Gastgeber und Kümmerer, der die Struktur betreut.

Teilen ist Ausdruck eines Bedürfnisses nach Gemeinschaft und der Verzicht auf Statussymbole.

 

Ist die Sharing Economy eine Wiederentdeckung der Genossenschaften? Zukunftsforscher Mathias Brugger sieht interessante Verbindungslinien mit dem genossenschaftlichen Geschäftsmodell, es sei aber nicht dasselbe. „Den genossenschaftlichen Gedanken gibt es schon sehr lange und er ist ein Segen für Südtirol“, sagt Brugger. Genossenschaften zeigen, wie wertvoll Kooperation sein kann. Zum Beispiel im Obst- und Weinbau schließen sich Produzenten zusammen, um Veredelung, Vertrieb und Marketing zusammen zu machen. „Ein Unterschied zur Sharing Economy ist, dass sich hier die Produzenten zusammenschließen und der Zusammenschluss sehr formell ist, es gibt Regeln, Statuten, einen gemein­­samen Wertekanon aller Mitglieder“, erklärt Brugger. „Bei der Sharing Economy verbinden sich die Konsumenten und dahinter steht ‚nur‘ ein soziales Netzwerk oder eine Webseite.“

Regulierung notwendig?

Oft sind es kleine Start-ups, die sich in der Sharing Economy umtun. Doch auch große Unternehmen und Private mischen mit. Denn die Chancen auf Gewinne und Monopole sind hoch, die Investitionskosten vergleichsweise niedrig. Kritiker befürchten die totale Kommerzialisierung im Netz. Sie sehen in der Sharing Economy nicht eine wirkliche Transformation unseres Wirtschaftssystems, sondern nur dessen Anpassung an digitale Möglichkeiten.

Zu den bekanntesten Firmen gehört Airbnb. Über die Plattform kann man als Privatperson seine Wohnung(en) unkompliziert vermieten, zum Leidwesen der Hoteliers. Im Tourismusland Südtirol – darunter vor allem in Bozen – macht das Angebot nicht nur den Touristikern Konkurrenz, sondern es beeinflusst auch den ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt. Denn die Kurzzeitvermietung an den Gast ist oft lukrativer als der langfristige Mietvertrag mit dem Einheimischen. Viele Vermieter versteuern zudem ihre Gewinne nicht und scheren sich auch nicht um Hygiene-, Versicherungs- oder Brandschutzvorschriften, Tourismusabgaben oder Ähnliches. Aus wettbewerblicher Sicht gibt es noch viel Klärungs- und Regelungsbedarf.

Somit fällt die Bewertung der Sharing Economy nicht eindeutig aus. Non-Profit-Projekte sind anders zu beurteilen als die auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Geschäftsmodelle. Wie viel „Wir“ in den neuartigen Kooperationen enthalten ist, ist also von Fall zu Fall verschieden. Zweifelsohne können sie große Kräfte entfalten und haben auch in Zukunft ein enormes Potenzial.

BLICK IN DIE ZUKUNFT – „Wir werden uns noch wundern, was man alles teilen kann“

Ist die Sharing Economy mehr als ein Hype? Trendforscher Mathias Brugger wagt einen Blick in die Zukunft. Mathias Brugger ist Experte für Trends und Megatrends sowie für Innovations- und Projektmanagement. 

Herr Brugger, ist die Sharing Economy ein kurzer Hype, der wieder vergeht, oder ein grundlegender Wandel?

Mathias Brugger: Es ist ein grundlegender Wandel. Das Teilen an sich ist ja nichts Neues, es gab immer schon Tauschmärkte, Dinge wurden immer schon wiederverwendet. Nun wird das Teilen und Tauschen durch die technischen Möglichkeiten stark befeuert, weil unkompliziert möglich.

 

Geht es nur um die Technik?

Nein, es geht auch um den Wandel im Denken, vor allem bei den Jüngeren. Besitz wird weniger wichtig. Viele fragen sich, brauche ich das wirklich und immer? Wo bekomme ich etwas her, ohne es zu kaufen? Ein wichtiger Faktor ist sicher auch der Umweltgedanke, das Ressourcensparen. Wir werden uns noch wundern, was man alles teilen und gemeinschaftlich nutzen kann.

Tauschnetzwerke haben keinen Chef. Wird dieser Trend auch in die Unternehmenskultur eindringen?

Ich denke, die Hierarchien werden zukünftig flacher. In Unternehmen brauchen wir mündige Mitarbeiter, die mitdenken, keine Befehlsempfänger. Ich kann die Welt als Einzelperson nicht mehr überblicken, wie es vielleicht in alten hierarchischen, patriarchalen Firmenstrukturen war.

 

Vermittlungsdienste wie Uber und Airbnb machen ordentlich Geschäft. Inwieweit ist Sharing Economy eine neue Lust an der Kollaboration und inwieweit ein Geschäftsmodell?

Wenn die Lust auf Neues da ist, dauert es nicht lange, bis sich professionelle Anbieter herauskristallisieren. Gesetzgeber und Wirtschaftssysteme sind träger als Leute mit innovativen Ideen. Die neuen Märkte sind dann erst einmal unreglementiert, das bedeutet unlautere Konkurrenz und ist ein Problem. Die Reglementierungen kommen erst Schritt für Schritt und machen aus dem Hype ein reguläres Geschäft.