Ausgabe 04/18 -

Zwischen Couchsurfing und Vollpension

So viele waren es noch nie: 1,2 Milliarden Touristen sind jährlich unterwegs. Die Tourismusbranche ist die erfolgreichste Industrie der Gegenwart, weil sie stärker wächst als andere Wirtschaftszweige. Ob pauschal, individuell, erholsam oder abenteuerlich – die angebotenen Urlaubsformen werden immer facettenreicher und auch von Reisenden aus Südtirol genutzt. Welche Trends sollte man unbedingt im Auge behalten?

Als Judith Niederwanger und Alexander Pichler nach zehn Jahren im Arbeitsleben die Lust verspürten, etwas Neues zu erleben, war beiden klar: Die Zeit war reif für ein ­Abenteuer. Die Gärtnerin und der Webentwickler aus Meran hatten ein kleines Reisebudget zusammengespart, koordinierten ihr Vorhaben mit den ­jeweiligen Dienstgebern und stiegen Anfang Juli 2015 in die Transsibirische Eisenbahn mit den Visa für Russland und China im Gepäck. Die ­weiteren Ziele ihrer einjährigen Weltreise ­wählten sie spontan. Sie wollten nur das tun, worauf sie Lust hatten.

VIELE EINDRÜCKE IM GEPÄCK

Es dauerte zwar eine Weile, bis sie nicht mehr an Pflichten und Tagesrhythmen dachten, „aber als wir etwa in Island um 2 Uhr in der Früh einen Nationalpark besuchten, war uns die Zeit völlig egal. Es war Sommer, 24 Stunden am Tag hell und wir wollten die Chance nutzen. Ein schönes Gefühl“, sagt Judith. Das Paar übernachtete in japanischen Kapselhotels, zog mit einem Camper durch Neuseeland, genoss die Faszination des Dschungels in Malaysien und Borneo sowie die Einzigartigkeit der US-amerikanischen Naturparks. Ihre amüsanten Eindrücke sammelten sie auf ihrem Internetblog „RoterRucksack“. Die Unterkünfte wurden oft per Airbnb gesucht und gefunden: „Dadurch konnten wir die Leute vor Ort besser kennenlernen und einen Einblick in ihr Leben erhalten“, sagt Alex. Ebenfalls ein großartiges Erlebnis, sind beide überzeugt.

Gesucht: Authentizität

„Der Wunsch nach echten Begegnungen mit Einheimischen ist fast so alt wie der Tourismus selbst. Und ist an und für sich auch schon ein Massenphänomen“, sagt Wolfgang ­Niederhofer. Der Pusterer Reiseveranstalter betreibt in Bozen die Firma „Vai e Via AktivReisen“ und bedient damit eine kleine, aber stetig wachsende Nische für Aktiv- und Kulturreisen. Die Entwicklung ­aller relevanten Branchentrends behält er dennoch im Auge: Der gewichtigste sei die ­wieder wachsende Beliebtheit von nahen Urlaubs­ländern wie Spanien oder Italien, da anderswo politische Konflikte abschreckend wirken. Aus demselben Grund steigen auch die Zahlen jener Urlauber, die innerhalb ihres Heimatlandes ­verreisen – allesamt Phänomene, die Südtirol betreffen. In den Sechzigern gab es hierzulande noch keine flächendeckenden Freizeitaktivitäten, aber Touristen, die am Hof mitarbeiten ­wollten und fast zur Gastfamilie gehörten: „Sie wollten sich an die Lebensweisen der Ein­heimischen anpassen“, fasst Niederhofer zu­sammen. Sie fanden also jene Authentizität, die der Reisende auch heute noch sucht. Solange alle Beteiligten dies akzeptieren, würden auch keine Reibungspunkte entstehen, so Niederhofer. Durch soziale Netzwerke und individuelle Häusertausch­börsen wird der Wunsch nach einmaligen Erfahrungen leichter erfüllt, was auch Judith und Alex bestätigen: „Ob Individualreisen immer beliebter werden, können wir nicht beurteilen. Dass aber moderne Medien solche Erfahrungen bekannter und teilbar machen, erleichtert die Planung.“ So griff das Paar beispielsweise oft zu Instagram, um neue Ausflugsideen zu finden.

Die Freiheit eines Campingurlaubs ist unvergleichlich. Hier beim Sonnenuntergang am Spirits Bay in Neuseeland.
RoterRucksack Spirits Bay Neuseeland

Pauschal oder individuell?

Ein Abenteuer wie Judiths und Alex’ Weltreise hat aber auch seine mühseligen Seiten. Um Geld zu sparen, nahmen sie manchmal selbst Übernachtungen in „brutalen Buden“ in Kauf, Horrorbegegnungen mit fiesen, lauten ­Vögeln inklusive. „Aus heutiger Sicht lachen wir natürlich darüber, aber mitunter war es echt hart“, sagt Judith. Dafür wirken die beiden so, als ­ließen sie sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Ihre große Entdeckungsfreude leben Judith und Alex auch nach ihrem Jahr rund um den Globus aus: „Wir bewegen uns gern und widmen uns auch den hiesigen Sehenswürdigkeiten“, ­sagen sie. Darum sind sie heute oft in den Bergen unterwegs, geben Wandertipps, fotografieren und halten die Eindrücke ihrer Trips im Blog fest.

Sie genießen den Urlaub im eigenen Land und sind damit nicht allein: Auch immer mehr Süd­tiroler lassen sich von bislang unbeachteten Seiten ihrer Heimat begeistern. „So verbringen etwa Urlauber aus der westlichen Landeshälfte gerne ein paar Tage in Pusterer Wellnesshotels, und umgekehrt“, nennt Niederhofer ein mittler­weile fast klassisches Beispiel. „Oder unsere Jodel- und Wanderreisen in den Dolomiten … die sind unter Einheimischen auch sehr gefragt“, fährt er fort. Weitere Urlaubsmöglichkeiten wie das „Glamping“, also das glamouröse Camping mit Übernachtungen in komfortablen Chalets oder Baumhäusern, dürften diesen Trend verstärken. Kurze Distanzen und nicht zuletzt der gemeinsame Sprachraum sind zudem Vorteile, die für einen Urlaub zuhause sprechen.


Ansprüche je nach Lebenslage

„Ich habe an meinem Reiseverhalten gemerkt, wie sich die Ansprüche je nach Lebenslage ändern“, gesteht Niederhofer, selbst ein erfahrener Globetrotter. Junge Menschen mit kleinem ­Budget werden sich eher für den spontanen Rucksacktourismus begeistern können als etwa pensionierte Reisende, die per E-Bike die Provence erkunden, während Familien mit Kleinkindern aus praktischen Gründen auch den Cluburlaub am Strand zu schätzen wissen. Ob Bade- oder Almurlaub, Kulinarik-, Sport- oder Sprachreise, zu jedem Hobby oder gar Bedürfnis gibt es mittlerweile die passende Tourismusform, pauschal und individuell. Manche widmen sich vermehrt auch ernsteren Themen wie Entwicklungshilfe oder Trauerbewältigung. Das immer vielfältiger werdende Angebot ­bezeichnet der Reiseveranstalter als positiv, solange es gesund und nachhaltig gedeiht. Welche bereichernden Erkenntnisse jedes Individuum aus seiner Reiseerfahrung letztendlich mitnimmt, hänge jedoch weniger von ihrer pauschalen oder individuellen Qualität ab, sondern vielmehr von der jeweiligen Achtsamkeit und Sensibilität. „Wer selbst in vermeintlich vertrauter Umgebung mit offenen Augen unterwegs ist, kann einiges erleben“, ist Niederhofer überzeugt. Judith und Alex würden ihm sicher beipflichten.

RoterRucksack Judith Niederwanger und Alexander Pichler auf Reisen
RoterRucksack Spirits Bay Neuseeland Camping

TIPPS FÜR REISENDE – Information ist das Um und Auf

 

Monika Nardo, Leiterin Europäisches Verbraucherzentrum Bozen.

Wer reist, kann mitunter auch böse Überraschungen er­leben. Wie verhält man sich am besten, und was steht einem eigentlich zu?

Wer günstige Flüge sucht, stößt im Web meist auf Flugportale: Wie gut sind diese eigentlich?
Monika Nardo: Flugportale werden online rasch ge­funden, weil sie viel Geld in ihre Platzierung investieren. Wenn Fragen auftauchen, kann die Kommunikation mit Zuständigen allerdings recht mühsam werden. Je nach Zahlungsmittel müssen Urlauber oft Zusatz­kosten hinnehmen, obwohl die Verbraucherrichtlinien versteckte Spesen klar verbieten und Behörden immer strenger kontrollieren. Darum lohnt es sich, die Ergebnisse mehrerer Portale zu vergleichen oder direkt die Internetseite der Fluglinie aufzusuchen.

Was können Reisende tun, wenn sich ihr Flug verspätet?
Monika Nardo: Wenn Flüge sich um mehrere Stunden verspäten, überbucht oder gar ­annulliert werden, müssen die Airlines laut EU-Verordnung ihre Gäste darüber informieren. Je nach Situation werden ­Essens- und Getränke­gutscheine oder Details zur Übernachtung organisiert. Wer durch die Verspätung einen Schaden hat, weil er oder sie einen Termin verpasst, kann die Rückerstattung des unbenutzten Tickets anfordern. Die gesetzlichen Regelungen sehen auch Ausgleichszahlungen vor, die aber z. B. bei einem Vulkan­ausbruch, also bei höherer Gewalt, nicht geschuldet sind. Da der Unterschied zwischen höherer Gewalt und Verantwortlichkeit der Airline oft schwer zu bestimmen ist, gibt es in der Praxis viele Streitfälle. Verbraucherzentren und Zivilluftfahrtbehörden wie die ENAC stehen beratend zur Seite.

Was können Reisende tun, wenn die Unterkunft so gar nicht ihren Vorstellungen entspricht?
Monika Nardo: Individualbucher sollten die Mängel dokumentieren und sofort an der Rezeption beanstanden, um sich neu zu einigen. Wer über eine Buchungsplattform reserviert hat, sollte auch diese informieren. Mit Anfang Juli trat zudem eine neue Richtlinie für Pauschalreisen in Kraft, wonach Urlauber ihre Reisebüros oder Veranstalter sofort über Mängel und Beschwerden informieren sollten.