„Turbulenzen in Sicht – bitte weiterhin anschnallen!“
Am 18. und 19. November fanden die alljährlichen Herbstveranstaltungen des Raiffeisen InvestmentClubs in den Südtiroler Unternehmen Troyer Ag, Sterzing und Salewa, Bozen statt. Zu Gast war Finanzexperte Univ.-Prof. DDr. Jürgen Huber, der zum Thema „Finanzmärkte 2016 – Was bringt das neue Jahr? Wie fit ist Europa in Zeiten von Chinakrise und Zinserhöhungen in den USA?“ referierte. Im Interview gibt er seine Einschätzungen wieder.
Herr Professor, 2015 war ein bewegtes Börsenjahr. Wie fällt Ihre Bilanz zum Jahresende aus?
Jürgen Huber: Sie fällt durchwachsen aus wie das Börsenjahr selbst. Dieses war an vielen Märkten bis zum Frühjahr durch einen Anstieg und anschließend durch einen leichten – oder im Fall Chinas dramatischen – Abwärtstrend bestimmt. In den westlichen Ländern waren die Börsen vor allem vom billigen Geld der Zentralbanken getrieben.
Wohin geht die Reise bei den Finanzmärkten 2016?
Jürgen Huber: Starke Aufwärtsimpulse sind nicht wirklich zu sehen: Die Konjunktur kommt in Europa kaum in die Gänge, schwächt sich in China deutlich ab, während Russland und Brasilien in einer Rezession sind. Einzig die USA und Indien entwickeln sich relativ gut.
Niedrigzinsen, wenig Wachstum, hohe Staatsverschuldungen – sind das die wunden Punkte?
Jürgen Huber: Ja, insbesondere für Europa fasst dies einige der Probleme sehr gut zusammen. Die Niedrigzinsen sind an und für sich noch kein Problem – sehr wohl aber, dass die Zentralbanken im Fall einer neuen Krise keinen Raum mehr für Zinssenkungen haben, und dass das billige Geld risikobereite Investoren zu hohen Krediten ermuntern kann. Das niedrige Wachstum hingegen ist ein großes Problem – was hier hinzukommt, sind die immer noch vorhandenen eklatanten Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Deutschland und vielen anderen Ländern der Eurozone. Dies beschert uns wohl auch 2016 und darüber hinaus noch Probleme.
Wie stabil ist der Euro? Wird die EZB ihre expansive Geldpolitik fortsetzen?
Jürgen Huber: Die Zweifel am Fortbestand des Euro haben sich weitgehend aufgelöst. Die zugrundeliegenden Probleme, wie die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Länder, die fehlende Fiskalunion, zu wenig Migration innerhalb Europas, sind damit aber nicht beseitigt, sodass der Euro zwar stabil ist, mit neuen Turbulenzen (u. a. da Griechenland immer noch im Euro ist) aber zu rechnen ist. Die EZB kauft seit Jänner 2015 jeden Monat um 65 Milliarden Euro Staatspapiere von Banken, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen und Wachstum zu generieren. Der Plan wird vorerst fortgesetzt – ob er letztlich funktionieren wird, lässt sich noch nicht sagen.
Wie wahrscheinlich sind Zinserhöhungen im nächsten Jahr?
Jürgen Huber: In den USA haben die Zentralbankchefs Zinserhöhungen bereits in Aussicht gestellt – diese werden vielleicht noch 2015, fast sicher aber 2016 kommen. In der Eurozone ist die Konjunktur jedoch noch viel schwächer und die Arbeitslosigkeit ist kaum gesunken. Mit einer Zinserhöhung für Europa ist frühestens Ende 2016, eher erst 2017 oder sogar noch später zu rechnen.
Auf was müssen sich Anleger einstellen und welchen Tipp haben Sie?
Jürgen Huber: Ich fürchte, es werden nicht wirklich „ruhige“ Börsenzeiten auf uns zukommen. Die Unsicherheiten sind sowohl konjunkturell als auch politisch (Russland/Ukraine, Naher Osten, Flüchtlinge) nach wie vor sehr groß. Die Strukturprobleme der Eurozone sind nicht gelöst und Ausstiegsszenarien der Zentralbanken aus der expansiven Geldpolitik noch nicht wirklich gefunden. Die Devise für Anleger lautet deshalb: Schnallen Sie sich weiterhin an! Wer sein Geld gut investieren will, sollte – besonders in Niedrigzinsphasen – auf die breite Streuung seiner Investments achten. Studien belegen, dass häufiges Umschichten des Portfolios sich nachteilig auf die Rendite auswirkt.
Deshalb mein Tipp: Entscheiden Sie sich für ein Investment, von dem Sie überzeugt sind, und bleiben Sie dabei!
Zur Person
Univ.-Prof. DDr. Jürgen Huber ist seit 2010 Leiter des Instituts für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen experimentelle und empirische Finanzmarktforschung sowie Informationsökonomie.
Er erhielt mehrere wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter 2006 den Dr.-Alois-Mock-Wissenschaftspreis und 2007 den Preis des Fürstentums Liechtenstein für wissenschaftliches Arbeiten.