Ausgabe 06/16 -

Bewusst konsumieren für mehr Lebensqualität

Weihnachten steht vor der Tür, aber anstatt Besinnung beherrscht Konsum den Advent. Doch nicht alle Menschen frönen dem Shopping, immer mehr kaufen bewusst ein und üben Verzicht. Doch ist es ein Tropfen auf dem heißen Stein oder ein beginnender Wertewandel?

„Ich brauche heute weniger als früher, ich lege auf Auto und andere Statussymbole keinen Wert“, sagt Evelyn Oberleiter. Sie ist Leiterin des Brixner Terra Institute, einer Organisation, die sich Gedanken um ein anderes Wirtschaftssystem macht, in dem es um mehr geht als um Geld verdienen und ausgeben. Darunter fällt auch das Kapitel Konsum. „Uns wurde über Jahre suggeriert, dass hohes Einkommen und Konsum gleich Erfolg ist und glücklich macht“, sagt Oberleiter. Das Versprechen der Werbung, mehr Lebensqualität durch mehr Konsum zu erhalten, erweist sich aber zunehmend als Trugschluss. Immer mehr Menschen verweigern sich dem Konsumzwang, sie versuchen, mit minimalen Mitteln zu leben, kaufen im Second-Hand-Shop.

Kaufrausch zu Weihnachten

Besonders in der Weihnachtszeit, in der der Einzelhandel die höchsten Umsätze des Jahres erzielt, stellen sich viele Menschen die Frage nach dem Sinn des Kaufens. Mittlerweile gibt es sogar gezielte „Buy Nothing Christmas“-Aktionen, die sich gegen die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes richten. Für Familien­seelsorger Toni Fiung gehören Weihnachten und Schenken zusammen (siehe Interview). Aber er plädiert dafür, mit dem Geschenk einem Menschen die Liebe, Wertschätzung und Zuneigung zu zeigen. „Man darf nicht so materialistisch sein und vergleichen, wer was bekommen hat, und was das Geschenk gekostet hat. Das weihnachtliche Schenken muss weg vom schnöden Konsumdenken.“


Muss es immer mehr sein?

Suffizienz („Wann ist genug?“), Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität sind Themen, die Oberleiter schon lange bewegen und berufs­mäßig beschäftigen. Sie ist Gesellschafterin der Terra Institute GmbH, hält einen Betrieb mit bis zu 30 (teils freien) Mitarbeitern am Laufen, berät Firmen vom Pharmakonzern bis zum Hersteller von Küchenscharnieren zu nachhaltigen Unternehmensstrategien. „Jede Pflanze und jedes Tier hat eine natürliche Wachstumsgrenze. Wieso nicht auch wir? Müssen wir immer weiter wachsen?“ Was für die Wirtschaft gilt, gilt auch für den einzelnen Konsumenten. Muss es immer mehr sein? Das neueste Handy, die neueste Modekollektion, das größere Auto? Evelyn ­Oberleiter stellt Konsum aber nicht grundsätzlich in Frage. „Aber wenn man etwas kauft, sollte man sich schon fragen, ob es einen Wert hat, wo es herkommt und aus was es gefertigt wurde.“ Also lieber eine Trinkflasche aus Glas schenken als drei billige aus Plastik.

Verbraucher prägen durch ihre täglichen Kaufentscheidungen die Märkte.
Letztendlich bestimmen sie darüber, welche Produkte in unseren Geschäften über kurz oder lang zu finden sind.

Bewusst konsumieren

Geht es auch anders?

Aber wie kommt man raus aus dem ewigen Kreislauf „Geld verdienen, kaufen, Geld ­verdienen, kaufen“ – zumindest ein bisschen? Dazu braucht es eine neue Denkweise: Wir sollten uns ­fragen, was wir wirklich brauchen, die möglichen Konsequenzen unseres Konsums im Hinterkopf haben und uns überlegen, was wir besser ­machen ­können. Und uns auch bewusst sein, dass Konsumenten durch ihre Kaufentscheidungen und ­ihren Boykott eine große Macht auf wirtschaftliche Anbieter ausüben. In Südtirol gibt es einen Trend zu lokalen Kreisläufen, fairen Preisen für die Produzenten und lokalen Produkten. So ­vertreibt beispielsweise die Erzeugergenossenschaft ­DELEG am Deutschnonsberg Fleisch, Obst und Gemüse von ­Bauern aus der Gegend. Wer Produkte aus der ­Region kauft, vielleicht am Bauernmarkt, aber auch in anderen Geschäften, zahlt vielleicht ­etwas mehr als im großen Supermarkt. Dafür stärkt er die lokalen Wirtschaftskreisläufe, vermeidet lange Transportwege und hat Gewissheit über die Herkunft und die Herstellung des Produkts. Es gibt Fair-Trade-Geschäfte, Menschen kaufen antizyklisch (z. B. die Skiausrüstung erst nach dem Weihnachtsgeschäft), wählen bewusst aus oder achten auf Qualität, anstatt allein auf den Preis. Was mehr kostet, hält oft auch länger und muss seltener ersetzt werden. Das schont Ressourcen und vermeidet Müll.

Konsumverzicht schont den Geldbeutel

Im Durchschnitt ist jede Südtiroler Familie mit über 23.000 Euro privat bei Bankinstituten verschuldet. Petra Priller, Leiterin der Caritas-Schuldnerberatung, weiß: „Verlockende Ratenangebote für das langersehnte Auto, Handy oder auch für Geschenke können schnell von der Ver- zur Überschuldung führen. Und wenn Schulden nicht beglichen werden können, drohen Gehalts- oder Kontopfändungen.“ Umso wichtiger sei es deshalb, sich einen klaren Überblick über die monatlichen Ein- und Ausgaben (z. B. mit einem Haushaltsbuch) zu verschaffen oder auf das eine oder andere zu verzichten, weil man einfach noch nicht genug angespart hat oder es sich nicht leisten kann. Einfach sei der Konsumverzicht nicht, kontert Oberleiter. Wer sich radikal dem Konsum entzieht, fällt auf.
„In kleinstrukturierten Regionen wie Südtirol, wo Diversität oft als Gefahr gesehen wird, muss man ein hohes Selbstwertgefühl haben, um sich gegen den Strom zu stellen“, sagt Oberleiter. Denn am Ende bleibe doch der Wunsch, „dazuzugehören“. Wobei es ja nicht gleich ein völliger Konsumverzicht sein muss. Schon die Abkehr von Überfluss, Verschwendung und Wegwerfmentalität ist ein Anfang. Vielleicht würde es helfen, die Ansprüche ein wenig herunterzuschrauben.

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Evelyn Oberleiter

Evelyn Oberleiter, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Terra Institute, Brixen

Nachhaltiger Konsum?

Evelyn Oberleiter weiß nicht, ob man wirklich von einem Trend hin zu mehr Nachhaltigkeit beim Konsum sprechen kann. „Nachhaltigkeit ist immer noch ein Thema einer Kulturelite. Manche Familien sind vermutlich so gehetzt, über die Runden zu kommen, dass sie wohl andere Sorgen haben.“ Sie fordert deshalb mehr Anerkennung für Menschen, die sich sozial und ökologisch verhalten, und neue Triebfedern. Keine materialistischen, sondern neue Anreiz- und Bewertungs­systeme und neue Gesetze und Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Konsum. Denn von alleine werde sich wohl nichts ändern.

Interview mit Familienseelsorger Toni Fiung
ZEIT STATT ZEUG SCHENKEN – „Man tut dem Kind nichts Gutes“

Familienseelsorger Toni Fiung warnt vor zu vielen Geschenken für Kinder.
Man solle sich lieber Zeit für sie nehmen und den Wohlstand auch mit anderen teilen.

Herr Fiung, macht Konsum glücklich?
Toni Fiung: Nicht auf Dauer. Es gibt sicher einen Moment, wo das, was man gekauft hat, Freude bereitet. Aber man muss weiter konsumieren, um dieses Gefühl wieder zu bekommen. Das kann bis zur Sucht gehen. Viele Menschen spüren, dass Konsum auf Dauer eben nicht glücklich macht.

 

Weihnachten steht vor der Tür. Wie kann man schenken, damit Beschenkter UND Schenkender etwas davon haben?
Toni Fiung: Viele Kinder werden mit Geschenken überhäuft. Ich verstehe das Bedürfnis der Erwachsenen, diese leuchtenden Kinderaugen zu sehen, das hat mit dem inneren Kind in uns zu tun. Besonders ältere Menschen, die früher nicht viel hatten, wollen, dass es den Kindern gut geht. Aber ich glaube nicht, dass die vielen Geschenke einem Kind auch gut tun. Wichtiger erscheint es mir, wenn sich Eltern und Großeltern Zeit für die Kinder und Enkelkinder nehmen.

Schenken die Menschen heute bewusster?
Toni Fiung: Ich denke schon. Die Wertediskussion in der Familie, was und wie man schenkt, ist sehr kostbar. Aber die Werbung ist schon im Oktober auf Weihnachten eingestellt. Die Kinder sehen, was andere haben, und werden beeinflusst. Es braucht eine gute Beziehung zum Kind, um klarzumachen, um was es beim Schenken geht.

 

Was schenken Sie zu Weihnachten?
Toni Fiung: Ich und meine sieben Geschwister treffen uns in der Weihnachtszeit bei unseren alten Eltern und spielen „Engele Bengele“. Vor einigen Jahren machten wir noch größere Geschenke, aber wir sind bescheidener geworden. Zu Weihnachten sollte man teilen und spenden, auch das ist eine Art des Schenkens.